Auszug aus der Verfassungsbeschwerde von Dr. W. Klosterhalfen (BvR2507/16)
Vollständiger Text dieser Beschwerde und weitere kritische Texte: s. www.reimbibel.de/217.htm
2. Kirchen, kirchennahe Organisationen und christliche Abgeordnete als treibende Kräfte
hinter dem § 217 StGB ……………………………………..…………..…………………………………………… 5
2.1 Christlicher Lobbyismus …………………………………………………………..……………………………………..…. 6
2.2 Ziele christlicher Einflussnahme auf die Politik …………………………………………………………………. 7
2.3 Ablehnende Einstellung der Kirchen zum Suizid ……………………………………………………………….. 8
2.3.1 Ablehnung des Suizids durch die Römisch-katholische Kirche (1992/1995) ……..……………… 9
2.3.2 Gemeinsame Ablehnung des Suizids durch EKD und DBK (1989) ……………………………….……. 10
2.4 Ablehnende Haltung von Kirchen und kirchennahen Organisationen zur Suizidhilfe …….… 10
2.4.1 Christlich inspirierte Aktivitäten gegen Dignitas Deutschland (2005 und 2006) …………..….. 10
2.4.2 Ablehnung der „Beihilfe zum Selbstmord“ durch die Römisch-katholische Kirche (ab 1992)
2.4.3 Forderungen der EKD nach einem Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe (2008/2014) . 12
2.4.4 Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm fordern gemeinsam ein Verbot der geschäfts-
mäßigen Förderung der Selbsttötung (1.7.2015) ……………………………………………………………… 13
2.4.5 Caritas fordert Verbot der „geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid“ (ab 2014) ………………… 13
2.4.6 Diakonie fordert Verbot der organisierten „Beihilfe zum Suizid“ (29.9.2014) ……………….. 14
2.4.7 Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordert Verbot der „organisierten Beihilfe zum
Suizid“ (ZdK, 17.10.2014) ……………………………………………………………………………………………….. 14
2.4.8 Bund katholischer Unternehmer und KKV fordern Verbot der organisierten „Beihilfe zum
Suizid“ (19.2.2014) ………………………………………………………………………………….……………………… 15
2.4.9 Katholischer Deutscher Frauenbund fordert Verbot „organisierter Suizidbeihilfe“
(12.10.2014) …………………………………………………………………………………………..………………………. 15
2.4.10 Deutscher Ethikrat empfiehlt Verbot der geschäftsmäßigen „Suizidbeihilfe“ (18.12.2014) 15
2.4.11 BAG Christinnen und Christen von Bündnis90/Die Grünen (7.3.2015) ………………….………… 17
2.5 Verbot von Suizid und Suizidhilfe im Islam ………………………………………………………………….………. 17
2.6 Prominente Suizidhelfer: Kritik und persönliche Angriffe …………………………………………..……….. 18
2.6.1 Uwe-Christian Arnold ………………………………………………………………………………………………………. 18
2.6.2 Dr. Roger Kusch …………………………………………………………………………………………….…………….…… 20
2.6.3 Dr. Ludwig A. Minelli ……………………………………………………………………………………….………….…… 22
2.7 Der Bundespräsident: „An der Hand, nicht durch die Hand!“ ……………………………………….……. 23
2.8 Christliche Abgeordnete als treibende Kräfte hinter dem § 217 …………………………………..……. 23
2.8.1 Ranghohe und als Christen besonders engagierte Abgeordnete (Beispiele) ……………………. 23
2.8.2 Einschlägige religiöse Bekundungen von Abgeordneten des Bundestags ……………………….. 26
2.9 Abhängigkeit des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten vom religiösen Bekenntnis…. 31
2.9.1 Liste und Tabelle auf der Basis von Daten der Bundestagsverwaltung ……………………………. 31
2.9.2 Unter Verwendung weiterer Quellen präzisierte Tabelle ………………………………………………… 33
2.9.3 Für ein totales Suizidhilfeverbot stimmten nur christliche Abgeordnete der CDU/CSU …… 34
2.9.4 Interpretation des Abstimmungsverhaltens als in erster Linie religiös motiviert …………….. 35
2. Kirchen, kirchennahe Organisationen und christliche Abgeordnete als treibende Kräfte hinter dem § 217 StGB
Über die Frage, ob Suizidhilfe unter bestimmten Umständen gerechtfertigt oder sogar ethisch geboten ist, wurde schon in der Antike gestritten. In Deutschland ist der Suizid seit 1532 nicht mehr strafbar. Die Suizidhilfe war von spätestens 1871 bis zum 9.12.2015 nicht strafbar. Organisierte Suizidhilfe wurde von dem Arzt Uwe-Christian Arnold seit den 90er Jahren, von Dignitas Deutschland e.V. seit September 2005 und von Dr. Roger Kusch und für ihn tätigen Ärzten seit Ende 2007 angeboten und durchgeführt. Durch Gerichtsurteile und das Patientenverfügungsgesetz wurde in den letzten Jahren das Selbstbestimmungsrecht Schwerkranker und Sterbender gestärkt.
Im Vorfeld des jüngsten und erstmals erfolgreichen Versuchs einer Kriminalisierung auf Wiederholung angelegter Suizidhilfe schrieb der Direktor des Instituts für Ethik und Geschichte der Medizin der Universität Tübingen, Prof. Dr. Urban Wiesing, im April 2014 in der Zeitung „Die Zeit“:
„Der Wandel der Einstellungen zum Sterben ist eine Bewegung hin zu Individualität und Vielfalt. Es dauert eine Weile, bis die Politik solche Entwicklungen wahrnimmt. Dabei reagiert sie nicht selten mit Abwehr. Die Stimmen gegen jegliche Form organisierter Sterbehilfe speisen sich vor allem aus der Ablehnung des Suizids an sich. Der ist aber nicht Gegenstand der anstehenden Entscheidung, und über ihn zu verhandeln überschreitet die Befugnisse des Parlaments. Es ist für Gesetze, nicht aber für Gesinnungen zuständig.“
http://www.zeit.de/2014/16/sterbehilfe-deutschland-verbot/komplettansicht
Kurz nach der sogenannten Orientierungsdebatte des Bundestags zur Sterbebegleitung am 13.11.2014 überschrieb Nils Marquardt seinen Aufsatz über philosophische, religiöse, juristische und politische Hintergründe des Streits über ärztliche Suizidhilfe wie folgt:
„Wem gehört mein Tod? Die Debatte über Sterbehilfe ist einer der letzten Verteidigungskämpfe des politischen Christentums. Neben Würde und Selbstbestimmung geht es auch um Macht.“
http://www.zeit.de/kultur/2014-11/sterbehilfe-macht-religion-essay
Eine Reihe von Fakten belegt, dass bei der Planung und Verabschiedung des § 217 die Kirchen und die religiöse Gesinnung vieler Abgeordneter eine wesentliche Rolle gespielt haben. Zu diesen Fakten gehören vor allem Aussagen von christlichen Mitgliedern des Bundestags sowie christlichen Vereinigungen und prominenten Kirchenvertretern zu Suizid und Suizidhilfe, das Selbstverständnis der christlichen Parteien und das Abstimmungsverhalten der Abgeordneten des Bundestags am 6.11.2015, das stark von deren Bekenntnis zu einer der beiden großen Kirchen oder zum Islam abhängig war. Sich öffentlich zu diesen Kirchen oder zum christlichen Glauben bekennende Abgeordnete haben mit großer Mehrheit für den §217 gestimmt; bei Abgeordneten, die im Handbuch des Bundestags keine Angaben zur Konfession gemacht haben oder sich als konfessionsfrei oder als Atheisten bezeichnet haben, war das Gegenteil der Fall (Genaueres s. 2.9).
2.1 Christlicher Lobbyismus
Beim christlichen Lobbyismus, der in Deutschland so selbstverständlich geworden ist, dass er nur selten als solcher wahrgenommen und bezeichnet wird, handelt es sich um einen Sonderfall, da Christen in großer Zahl staatliche und via Subsidiaritätsprinzip quasi-staatliche Ämter innehaben. Um z.B. auf die gerade amtierende Bundesregierung einzuwirken, müssen Christen nicht von außen an sie herantreten, denn sie stellen die Bundesregierung. Unter dem Titel „Wie die Kirche unser Leben bestimmt – ob wir wollen oder nicht“ hat Thierry Chervel die Verflechtung von Kirche/Christentum und Staat kürzlich in der WELT skizziert:
Der Römisch-katholischen Kirche gehörten 2015 noch 29.1%, der Evangelischen Kirche 27.2% der Deutschen an. Das Interesse an Religion und Kirche hat aber in Deutschland seit etwa 1960 sehr nachgelassen. Sonntags gehen nur noch 10.4% der Katholiken und 3.5% der Evangelischen zum Gottesdienst. Bei den erwachsenen römisch-katholischen Kirchenmitgliedern glauben laut Allbus (2002) nur knapp 36% an einen persönlichen Gott. 42% glauben an ein höheres Wesen oder eine geistige Macht, 14% wissen nicht, was sie glauben sollen und 9% glauben weder an einen persönlichen Gott noch an ein höheres Wesen oder eine geistige Macht.
Ev. Kirchenmitglieder (ohne Freikirchen): 23% / 40% / 17% / 21%.
http://fowid.de/fileadmin/datenarchiv/Gottesvorstellung_nach_Religionszugeh_rigkeit__2002.pdf
Nach diesen Umfrageergebnissen handelt es sich bei den Mitgliedern der beiden großen Kirchen mehrheitlich nicht um Christen. Personen, die nicht an einen persönlichen Gott glauben, sollten besser als Atheisten oder Agnostiker bezeichnet werden. Laut einer Befragung der EU (2005) glaubten 47% an einen persönlichen Gott, 25% an ein höheres Wesen und 25% weder an einen persönlichen Gott noch an ein höheres Wesen. Auch gemäß dieser Befragung sind Deutsche in ihrer Mehrheit nicht mehr Christen, gläubige Muslime oder gläubige Juden. Wesentliche Inhalte des christlichen Glaubensbekenntnisses wie „Auferstehung von den Toten“ und „Jüngstes Gericht“ werden nur noch von einer Minderheit der Kirchenmitglieder für wahr gehalten. Dies gilt auch für den Glauben an eine Hölle. Nur noch wenige junge Männer lassen sich in Deutschland zu römisch-katholischen Priestern weihen; im letzten Jahr waren es 58.
Näheres zu Umfragen zum Glauben in Deutschland: www.reimbibel.de/statistik.htm
Im Kontrast zu dieser dramatischen Erosion des Glaubens haben die beiden großen Kirchen nach 1945 ihre wirtschaftliche, politische und mediale Macht stark ausbauen können. Caritas hat inzwischen ca. 600.000 Mitarbeiter, die Diakonie ca. 450.000. Der gemeinsame Umsatz liegt bei etwa 40 Milliarden Euro, die Kosten tragen ganz überwiegend Staat, Versicherungen und Kunden. Die staatlich hoch subventionierten Kirchen sind in den Medien stark vertreten.
Auf Länder- und Bundesebene beeinflussen die Kirchen seit Jahrzehnten über spezielle Büros die Parlamente (s. Carsten Frerk, Kirchenrepublik Deutschland, Alibri-Verlag, 2015). Sie nehmen sowohl auf informellem als auch auf öffentlichem Wege zu geplanten Gesetzen Stellung. Wie selbstverständlich die „bewährte Partnerschaft“ zwischen Kirche und Staat inzwischen geworden ist, zeigt schlaglichtartig eine naive Äußerung der WDR-Moderatorin Bettina Tietjen im Gespräch mit dem Arzt Uwe-Christian Arnold, das kurz vor der sog. Orientierungsdebatte zur Sterbehilfe stattfand: „Es wird lange diskutiert werden, es wird die Ethikkommission gehört werden, die Kirche, wie das in Deutschland nun mal vorgeschrieben ist.“
https://www.youtube.com/watch?v=XboTJMo-f24 4:45
Das Katholische Büro in Berlin wird von Prälat Dr. Karl Jüsten geleitet, der von Juristen unterstützt wird, die Kontakte zu den einzelnen Ministerien unterhalten. „Das Katholische Büro arbeitet dem Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, unmittelbar zu. Es erfüllt seinen Auftrag insbesondere durch die Beobachtung der Gesetzgebungsvorhaben des Bundes, die sachkundige Begleitung bei der Vorbereitung von Gesetzen und politischen Entscheidungen, die Abgabe von Stellungnahmen zu Gesetzgebungsverfahren des Bundes sowie die Durchführung von Beschlüssen der Deutschen Bischofskonferenz.“
http://www.kath-buero.de aufgerufen 14.11.2016
Eine solche auch vom Evangelischen Büro in Berlin (Leiter: Prälat Dr. Martin Dutzmann) betriebene Lobbyarbeit ist zwar über weite Strecken legal, hat aber inzwischen ein Ausmaß erreicht, dass man fast schon von einer – demokratisch nicht legitimierten – Nebenregierung sprechen kann. Dazu tragen auch Empfänge der Kirchen, Gebetsfrühstücke für Bundestagsabgeordnete, morgendliche Andachten im Parlamentsgebäude und Seelsorgeangebote der genannten Prälaten bei. Im Parlament verfügen die Kirchen über Kontakte zu religiös besonders engagierten christlichen Abgeordneten wie Volker Kauder, Kerstin Griese oder Katrin Göring-Eckhardt, die als „Brückenköpfe“ diesem Lobbyismus dienen, indem sie Wünsche der Kirchen entgegennehmen und in die Politik einbringen sowie Wünsche der Politik an die Büros weitergeben.
Kirchenführer gelten hierzulande als moralische Autoritäten. Wieso eigentlich? Angesichts der umfangreichen „Kriminalgeschichte des Christentums“ (Karlheinz Deschner) und der Unterstützung Hitlers durch die meisten Bischöfe – s. www.reimbibel.de/Kirche-im-Dritten-Reich.htm – der Ausbeutung und Misshandlung von Kindern und Jugendlichen nach 1945 in evangelischen und katholischen Heimen, des sexuellen Missbrauchs und dessen Vertuschung vor allem durch röm.-katholische Priester und der Fragwürdigkeit der kirchlichen Lehren und Moralvorstellungen scheint mir das immer noch hohe Ansehen, das sogenannte Geistliche in der Politik genießen, nicht gerechtfertigt.
2.2 Ziele christlicher Einflussnahme auf die Politik
Alle praktizierenden Christen wollen und beten regelmäßig darum, dass „Gottes Wille“ nicht nur im „Himmel“, sondern auch auf der Erde geschieht. In einer 1985 erschienenen Denkschrift der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) heißt es entsprechend: „Wir wollen daran mitwirken, daß der Staat nach menschlicher Einsicht und menschlichem Vermögen auf demokratische Weise dem gerecht wird, was ihm nach Gottes Willen aufgegeben ist.“
Evangelische Kirche und freiheitliche Demokratie. Der Staat des Grundgesetzes als Angebot und Aufgabe. Gütersloh, 4. Auflage, 1990.
http://www.ekd.de/download/evangelische_kirche_und_freiheitliche_demokratie_1985.pdf S. 11
Die Kirchen haben nicht nur den Willen, bei vielen Themen die Politik zu beeinflussen, sondern in ungewöhnlich hohem Maße auch die Mittel dazu. Sie werden durch staatliche Zahlungen und Privilegien (z.B. die Finanzierung von theologischen Fakultäten, Religionslehrern und Bischöfen sowie die kostenlose Übertragung von Gottesdiensten und Steuerbefreiungen) massiv vom Staat unterstützt. Sie haben eigene Schulen für Journalisten, eigene Nachrichtenagenturen, sind im Ethikrat und in den staatlichen Rundfunkräten vertreten, werden bei Gesetzesvorhaben vorzeitig informiert und angehört. Die meisten Zeitungen, Radiosender und Fernsehanstalten berichten – von bestimmten Skandalen und Problemen abgesehen – tendenziell positiv über kirchliche Aktivitäten.
Der Arbeitskreis Christinnen und Christen in der SPD, zu dessen Leitung Kerstin Griese gehört, schreibt über diesen AK: „Wir sind ein Zusammenschluss von Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die sich aus ihrem christlichen Glauben heraus in der SPD engagieren.“ https://www3.spd.de/spd_organisationen/ak-christen/ueber_uns
Der Evangelische Arbeitskreis der CDU/CSU stellt sich auf seiner Homepage so vor:
„Der EAK ist eine Sonderorganisation der Unionsparteien, der alle evangelischen Mitglieder von CDU und CSU vertritt. Derzeit zählt der EAK über 203 000 Mitglieder. Der EAK wurde 1952 in Siegen vom damaligen Bundestagspräsidenten, Oberkirchenrat Dr. Hermann Ehlers, gegründet. Ehlers Anliegen war es, die evangelische Stimme in der Partei zu einen und zu stärken.
Die Idee der Gründungsväter und -mütter des EAK war von Anfang an, dass unsere Partei eine kontinuierliche, christliche, ja evangelische Begleitung ihrer Politik braucht.
Thomas Rachel, MdB, Bundesvorsitzender des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU
Bis heute verfolgt der EAK das Ziel, protestantisches Denken und protestantische Überzeugungen in die Unionsparteien einzubringen und evangelische Christen zum politischen Engagement zu ermutigen. Es ist für den EAK besonders wichtig, für seine Arbeit Menschen zu gewinnen, die in Kirche und Politik zu Hause sind.“ http://www.eak-cducsu.de/web/index.php
„Selbstverständnis der CDU … Grundlage unserer Politik ist das christliche Verständnis vom Menschen und seiner Verantwortung vor Gott. … Unsere Partei wurde 1945 von Menschen gegründet, die Deutschlands Zukunft mit einer christlich geprägten, überkonfessionellen Volkspartei gestalten wollten. … Ein menschlicher, an christlichen Werten ausgerichteter Kurs: Das sind Kompass und Richtmaß unserer Politik.“ https://www.cdu.de/artikel/selbstverstaendnis-der-cdu
2.3 Ablehnende Einstellung der Kirchen zum Suizid
Die großen Kirchen lehnen in der Tradition von Platon, Aristoteles, Augustinus und Thomas von Aquin den Suizid grundsätzlich ab und berufen sich dabei u.a. auf die folgenden Bibelstellen:
„Du sollst nicht töten.“ (Einheitsübersetzung: „Du sollst nicht morden.“) (Exodus 20,13)
„Erkennt: Der Herr allein ist Gott. Er hat uns geschaffen, wir sind sein Eigentum, sein Volk und die Herde seiner Weide.“ (Psalm 100,3)
„Leben wir, so leben wir dem Herrn, sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Ob wir leben oder ob wir sterben, wir gehören dem Herrn.“ (Römer 14,8)
„Oder habt ihr etwa vergessen, dass euer Leib ein Tempel des Heiligen Geistes ist, den euch Gott gegeben hat? Ihr gehört also nicht mehr euch selbst.“ (1 Korinther 6,19-20)
Auch wenn die Kirchen den Suizid heute milder beurteilen als dies die Theologen der Antike und des Mittelalters taten, basiert ihre grundsätzlich ablehnende Haltung immer noch auf einer hochproblematischen Schriftensammlung, nämlich der von Menschen verfassten und zusammengestellten Bibel. Diese gibt keine überzeugende Antwort auf die Frage, warum so viele Menschen vor ihrem Tod schwer und lange leiden müssen. Die Frage, ob „Gott“ dies Leiden will oder nicht verhindern kann, bleibt nach wie vor unbeantwortet. Der hinkende Vergleich mit einem Geschenk, das nicht zurückgegeben werden darf, hilft nicht weiter. Wer den Suizid verurteilt, neigt natürlich auch dazu, sich gegen eine „Normalisierung“ der Suizidhilfe zu wenden. Dabei sind die Kirchen schon allein deswegen nicht glaubwürdig, da sie ja keineswegs Krankheiten als „gottgegeben“ hinnehmen, sondern sogar Krankenhäuser unterhalten, in denen lebensbedrohliche Krankheiten bekämpft und zum Teil noch Sterbende durch Übertherapie am Sterben gehindert werden.
Dass Gläubige und Ungläubige den Suizid ganz unterschiedlich betrachten, hat ein Theologieprofessor wie folgt gut auf den Punkt gebracht:
„Zu keiner Zeit mussten Menschen so wenig an Krankheiten leiden wie in der Gegenwart, nicht zuletzt dank der Fortschritte der Palliativmedizin. Der wesentliche Grund für die gegenwärtige Debatte über „Beihilfe zur Selbsttötung“ liegt also nicht darin, dass Menschen heute besonders schwer leiden müssen, sondern in der Individualisierung und Säkularisierung der Lebens- und Wertvorstellungen. Der Mensch, der kein „Jenseits“ dieses „Diesseits“ mehr glaubt, sieht nicht mehr ein, warum er das Leben bis zum bitteren Ende erleiden soll. Und weil er nicht mehr glaubt, dass er sein Leben Gott verdankt, betrachtet er sein Leben als seinen Besitz, über den er nach seinem Ermessen verfügen darf.“
Ulrich Eibach, Professor für Systematische Theologie in: Evangelische Verantwortung
Magazin des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, Heft 3+4, S. 3
2.3.1 Ablehnung des Suizids durch die Römisch-katholische Kirche (1992/1995)
„Für Selbstmörder durfte keine Totenmesse mehr gelesen werden. Sie durften auch nicht in geweihter Erde und vom 7. Jahrhundert an gar nicht mehr kirchlich beerdigt werden. … Die Frage, ob Selbstmörder auf ewig verdammt seien, wird mittlerweile von vielen christlichen Geistlichen Gott überlassen. Man verurteile die Tat, nicht den Täter, so hieß es in der katholischen Kirche 1983 (im Codex Iuris Canonici), als Beerdigungen von Selbstmördern auch offiziell wieder zugelassen und empfohlen wurden.“
http://www.planet-wissen.de/gesellschaft/tod_und_trauer/selbsttoetung/index.html
„Jeder ist vor Gott für sein Leben verantwortlich. Gott hat es ihm geschenkt. Gott ist und bleibt der höchste Herr des Lebens. Wir sind verpflichtet, es dankbar entgegenzunehmen und es zu seiner Ehre und zum Heil unserer Seele zu bewahren. Wir sind nur Verwalter, nicht Eigentümer des Lebens, das Gott uns anvertraut hat. Wir dürfen darüber nicht verfügen.“
Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2280, Rom, 1992
„Nun ist Selbstmord immer ebenso sittlich unannehmbar wie Mord. Die Tradition der Kirche hat ihn immer als schwerwiegend böse Entscheidung zurückgewiesen. … In seinem tiefsten Kern stellt der Selbstmord eine Zurückweisung der absoluten Souveränität Gottes über Leben und Tod dar, wie sie im Gebet des alten Weisen Israels verkündet wird: »Du hast Gewalt über Leben und Tod; du führst zu den Toren der Unterwelt hinab und wieder herauf« (Weish 16, 13; vgl. Tob 13, 2).“
Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae“, 25.3.1995, Nr. 64
2.3.2 Gemeinsame Ablehnung des Suizids durch EKD und DBK (1989)
„Für den Christen bedeutet die Selbsttötung eines anderen Menschen eine enorme Herausforderung: Er kann diese Tat im letzten nicht verstehen und nicht billigen – und kann dem, der so handelt, seinen Respekt doch nicht versagen.“
Gemeinsame Erklärung des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz in Verbindung mit den übrigen Mitglieds- und Gastkirchen der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik Deutschland und Berlin (West), 1989
http://www.ekd.de/EKD-Texte/sterbebegleitung_sterbehilfe_4.html
2.4 Ablehnende Haltung von Kirchen und kirchennahen Organisationen zur Suizidhilfe
Nach Artikel 38 GG sind Abgeordnete „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“. Im Folgenden wird gezeigt, dass im Widerspruch zu Artikel 38 GG die 360 Abgeordneten, die für den § 217 gestimmt haben, gegen den Willen der Mehrheit der Bürger in erster Linie die Interessen einer religiösen Minderheit vertreten haben, indem sie Forderungen der beiden großen Kirchen, konservativer christlicher Abgeordneter und konservativer (und zum Teil christlicher) Ärzte nach einem strafrechtlichen „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung“ nachgekommen sind.
(Mit „konservativ-christlich“ meine ich in Ermangelung eines präziseren Ausdrucks Menschen, die aus ihrem christlichen Glauben heraus dem Suizid und der organisierten Suizidhilfe grundsätzlich ablehnend gegenüber stehen. Diese Ablehnung wird von der Mehrheit der Mitglieder der beiden großen Kirchen nicht mehr geteilt, s. 4.5. )
2.4.1 Christlich inspirierte Aktivitäten gegen Dignitas Deutschland (2005/2006)
Schon 2005 hat sich die Bischöfin der Landeskirche Hannover, Dr. Margot Käßmann, gegen organisierte Suizidhilfe bzw. deren Unterstützung ausgesprochen. Noch am Tag der Gründung von Dignitas Deutschland e.V. in Hannover am 26.9.2005 durch Dr. Ludwig A. Minelli et al. verbreiteten Margot Käßmann und das von dem evangelischen Mitglied der CDU Dr. Ursula von der Leyen geleitete niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit eine gemeinsame Pressemitteilung, die überschrieben war:
„LANDESBISCHÖFIN KÄßMANN UND SOZIALMINISTERIN VON DER LEYEN
äußern sich gemeinsam zur Sterbehilfeorganisation Dignitas“.
Darin steht u.a.: „Käßmann und von der Leyen warnen vor der gesellschaftlichen Entwicklung, sich der Alten und Kranken zu entledigen. So eine Gesellschaft sei menschenverachtend und zynisch.“ https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/pressemitteilungen/landeskirche/2005/09/26-3536
Die Äußerungen dieser Damen halte ich ihrerseits für zynisch, da sie dem Vorsitzenden des Vereins Dignitas, Herrn Dr. Minelli, unterstellen, er würde aus einer zynischen und menschenverachtenden Einstellung heraus dazu beitragen wollen, sich der Alten und Kranken zu entledigen. Frau Dr. Käßmann und Frau Dr. von der Leyen konnten sich möglicherweise gar nicht vorstellen, dass Dignitas aus humanistisch-altruistischen Motiven heraus Suizidhilfe leistet. Dabei war auch schon damals allgemein bekannt, dass immer wieder alte Menschen aus durchaus nachvollziehbaren Gründen – oft unter Verwendung unzureichender oder grauenhafter Methoden – Suizidversuche unternahmen. Es ist nicht „menschenverachtend und zynisch“, sondern oft ethisch vertretbar oder sogar geboten, solchen Menschen – auch mithilfe eines Vereins – die Möglichkeit zu geben, auf schnelle, sichere und humane Weise zu sterben.
Als Dignitas Deutschland 2005 in Hannover gegründet wurde, protestierte die Deutsche Stiftung Patientenschutz (DSP), die damals noch Deutsche Hospiz Stiftung hieß, vor dem Hotel, in dem die Gründungssitzung stattfand: „Die Gründung von „Dignitas Deutschland“ sei „ein Schlag ins Gesicht all derer, die Tag für Tag voll Liebe und Hingabe an der Seite Kranker und Sterbender stehen“, sagte der Vorstand der Deutschen Hospiz Stiftung, Eugen Brysch. Vor der Gründungsversammlung hatte die Hospiz Stiftung, eine Patientenschutzorganisation für Schwerkranke, mit Pestmasken, „Giftcocktails“ und Plakaten protestiert, auf denen „Kein Todesexport aus der Schweiz“ stand. Dignitas sei eine „obskure Organisation“, die mit dem Tod Geschäfte treibe, sagte Brysch.“
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/erste-dignitas-filiale-stoesst-auf-ablehnung-aid-1.1593789 Die auch noch in der Debatte zum BGE wichtige Parole „Kein Geschäft mit dem Tod“ (s. auch 4.4.3) war auf einem der Protest-Plakate zu sehen.
http://www.taz.de/1/archiv/?dig=2005/09/28/a0308
Die Pressemeldungen von Käßmann/von der Leyen und Brysch haben den unsachlich-polemischen bis diffamierenden Ton vorgegeben, der von vielen prominenten Gegnern der organisierten Suizidhilfe bis zur Verabschiedung des § 217 beibehalten wurde.
Zunächst versuchte die römisch-katholische Christin Elisabeth Heister-Neumann, die für die CDU als niedersächsische Justizministerin tätig war, ein Verbot der deutschen Filiale von Dignitas zu erreichen. Dies soll aber am Widerstand des weniger christlich ausgerichteten Koalitionspartners FDP gescheitert sein. Daraufhin haben die CDU-regierten Länder Thüringen, Saarland und Hessen den Entwurf eines Verbotes „der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung“ vom 27.3.2006 vorgelegt (BR-Drs. 230/06). Dieser Entwurf soll in den drei Ausschüssen Recht (federführend), Gesundheit und Inneres des Bundesrats steckengeblieben sein.
Im Unterschied zum BGE, der seine religiöse Motivation nicht erwähnt, bekennt sich dieser Entwurf noch offen zu einer christlichen Bewertung des Suizids. Menschen, die ihr Leben beenden, fehle es grundsätzlich an Hilfe, sie schätzten ihre Situation zu Unrecht als ausweglos ein:
„Die eigenverantwortliche und selbstbestimmte Selbsttötung kann vor dem Hintergrund eines christlich und humanistisch geprägten Gesellschaftsbildes regelmäßig nur als tragisches Ergebnis fehlender Hilfsangebote oder fehlgeschlagener Hilfe zum Leben verstanden werden und nicht als eine von mehreren (gleichwertigen) Optionen im Umgang mit scheinbar ausweglosen Situationen.“ http://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2006/0201-0300/230-06.pdf?__blob=publicationFile&v=1 S. 1, 27.3.2006
Ähnlich Harald Schliemann (CDU), Justizminister von Thüringen:
„Der Suizid kann angesichts eines christlich-humanistisch geprägten Gesellschaftsbildes immer nur als tragisches Ereignis angesehen werden.“
http://dipbt.bundestag.de/dip21/brp/821.pdf Bundesrat, 821. Sitzung, 7.4.2006
2.4.2 Ablehnung der „Beihilfe zum Selbstmord“ durch die Röm.-katholische Kirche (ab 1992)
„Freiwillige Beihilfe zum Selbstmord verstößt gegen das sittliche Gesetz.“
Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 2282, Rom, 1992
§ 217 ist dieser vatikanischen Norm nicht ganz, aber ein großes Stück entgegen gekommen.
„Die Selbstmordabsicht eines anderen zu teilen und ihm bei der Ausführung durch die sog. »Beihilfe zum Selbstmord« behilflich zu sein heißt Mithelfer und manchmal höchstpersönlich Täter eines Unrechts zu werden, das niemals, auch nicht, wenn darum gebeten worden sein sollte, gerechtfertigt werden kann.“ Papst Johannes Paul II., Enzyklika „Evangelium vitae“, 25.3.1995, Nr. 64
Diesen päpstlichen Richtlinien entspricht der Sensburg/Dörflinger-Entwurf (SDE, BT-Drs. 18/5376), der vorsah, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren zu bestrafen, wer bei einer Selbsttötung Hilfe leistet. Konsequenterweise verwenden Sensburg et al. in diesem Entwurf die abwertenden Begriffe „Selbstmord“ und „Selbstmordversuch“. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805376.pdf
Die Verfasser des Entwurfs scheuen sich nicht, verzweifelte Menschen sprachlich in die Nähe von Mördern zu bringen und ihnen indirekt niedere Beweggründe (s. § 211 StGB) zu unterstellen.
Im Alltag und natürlich auch in den Medien wird bis heute häufig noch von Selbstmord gesprochen, und selbst im Bundestag verwendeten mehrere Abgeordnete diesen vergifteten Begriff, z.B. Jens Spahn, der von 2009 bis 2015 gesundheitspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion war.
„Das Tötungsverbot, also die Unantastbarkeit des Lebens eines anderen Menschen, steht auch einer Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zum Suizid strikt entgegen.“
Deutsche Bischofskonferenz, Pressemitteilung vom 10.6.2004
http://www.dbk.de/presse/details/?presseid=522&cHash=c6c256f54110970d084e2f6db57106c4
Die katholische Deutsche Bischofskonferenz forderte 2014 ein gesetzliches Verbot jeder Form des organisierten assistierten Suizids:
„Aus dem Wissen um Gottes Zuwendung und Liebe heraus darf und kann der Mensch auch im Leiden und im Sterben sein Leben bejahen und seinen Tod aus Gottes Hand annehmen. … Die deutschen Bischöfe … sprechen sich nachdrücklich dafür aus, dass jede Form des organisierten assistierten Suizids ausdrücklich gesetzlich verboten wird.“
http://www.dbk-shop.de/media/files_public/vbxwreci/DBK_Sterben-in-Wuerde-2014.pdf
„Wir sind auch für eine sehr behutsame rechtliche Regelung. Wir wollen eigentlich nur das Geschäftsmäßige verbieten, so dass also dann Leute, die das regelmäßig machen, die das quasi zum Berufszweig machen, dass man also denen also das Handwerk legen kann. Das find ich auch richtig.“ Prälat Karl Jüsten, Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischofskonferenz (Katholisches Büro) in Berlin, Phoenix-Runde, 15.10.2014
https://www.youtube.com/watch?v=I0FQH2Pi98w ab 21:21
2.4.3 Forderungen der EKD nach einem Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe (2008/2014)
„Es wird vorgeschlagen, auf politischer Ebene auf das Verbot der geschäftsmäßigen Vermittlung von Gelegenheiten zur Selbsttötung und damit auf ein Verbot von Sterbehilfeorganisationen nach Schweizer Muster hinzuwirken.“
Bischof Dr. Wolfgang Huber, Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Vorwort zum EKD-Text 97 „Wenn Menschen sterben wollen. Eine Orientierungshilfe zum Problem der ärztlichen Beihilfe zur Selbsttötung“, Hannover/Berlin, Oktober 2008
http://www.ekd.de/download/ekd_texte_97.pdf S. 6
„Einigkeit sollte darüber bestehen, der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in Gestalt von Sterbehilfeorganisationen, die sich dieser Aufgabe verschrieben haben, möglichst bald einen rechtlichen Riegel vorzuschieben.“ EKD-Text 97 (s.o.), 2008, S. 34
„Die organisierte bzw. geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid sollte mit geeigneten rechtlichen Mitteln unterbunden werden.“
Der Bevollmächtigte des Rates der EKD, Statement zum Thema: Suizidbeihilfe / Palliativ- und Hospizversorgung bei der fraktionsoffenen Sitzung der CDU/CSU Fraktion des Deutschen Bundestages am 24.9.2014 https://www.ekd.de/bevollmaechtigter/stellungnahmen/140924_statement.html
„Der Rat der EKD spricht sich für ein umfassendes Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid, gleich, ob kommerziell oder nicht-kommerziell, aus.“
Beschluss der EKD, Dezember 2014
http://www.ekd.de/EKD-Texte/sterben_in_wuerde.html
2.4.4 Kardinal Marx und Bischof Bedford-Strohm fordern gemeinsam ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung (1.7.2015)
„Anlässlich der anstehenden Beratungen sprechen wir uns nochmals dafür aus, jeglicher Normalisierung der Beihilfe zum Suizid entgegenzuwirken. … Wir fordern gemeinsam den konsequenten Ausbau der Palliativ- und Hospizversorgung sowie ein Verbot der organisierten Formen der Beihilfe zur Selbsttötung. Diese gesetzliche Regelung sollte für Vereine, sonstige Organisationen und Einzelpersonen, aber auch für Ärzte gelten, die den assistierten Suizid als Behandlungsoption am Ende des Lebens in geschäftsmäßiger Form anbieten. Ohne ein klares gesetzliches Zeichen gegen geschäftsmäßig angebotene Beihilfe zum Suizid befürchten wir eine zunehmende Aufweichung des Tötungstabus in unserer Gesellschaft.“
Parlamentarische Beratungen zur Neuregelung der Suizidbeihilfe im Deutschen Bundestag
Stellungnahme von Kardinal Marx und Landesbischof Bedford-Strohm, 1. Juli 2015
https://www.ekd.de/presse/pm116_2015_stellungnahme_suizidbeihilfe.html
Am 11.9.2015 haben der Bevollmächtigte des Rates der EKD und der Leiter des Kommissariats der Deutschen Bischöfe (Katholisches Büro in Berlin) eine gemeinsame Stellungnahme zu „vier Gesetzentwürfen betreffend die Hilfe zur Selbsttötung“ verfasst und allen Abgeordneten zugestellt. Darin postulieren sie ein „Ja Gottes zu jedem menschlichen Leben“, lehnen Suizid und die Förderung von Suiziden ab (S. 2) und sprechen sich für den BGE aus.
https://www.ekd.de/download/2015-09-11_Stellungnahme_Suizidhilfe.pdf
2.4.5 Caritas fordert Verbot der „geschäftsmäßigen Beihilfe zum Suizid“ (ab 2014)
„In Trägerschaft der Caritas gibt es bundesweit 58 stationäre Hospize mit 482 Betten. … Das heißt im harten Wettbewerb, in dem stationäre Einrichtungen sich befinden, nicht der Betriebswirtschaft das letzte Wort über die Gestaltung des Sterbens zu lassen, sondern eine Kultur des Sterbens zu etablieren, in der die christliche Sicht auf das Leben, das Sterben und den Tod die Hoheit übernimmt.“ Prälat Dr. Peter Neher, wohl 2014 oder 2015 https://www.caritas.de/magazin/schwerpunkt/sterben-und-tod/sterbebegleitung-als-aufgabe-fuer-alle
„„Sterben in Würde bedeutet, die Art und Weise des Sterbens würdevoll zu gestalten – es bedeutet nicht, den Zeitpunkt des Sterbens selbst zu bestimmen“, sagt Caritas-Präsident Peter Neher anlässlich der heutigen Debatte über Sterbehilfe im Bundestag.“ 13.11.2014
https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/palliativkultur-muss-gestaerkt-werden
„„Dringend erforderlich ist eine Regelung, welche die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid verbietet. Es darf nicht der Eindruck entstehen, es handle sich dabei um eine gewöhnliche Dienstleistung“, fordert Neher.“
https://www.caritas.de/fuerprofis/presse/pressemeldungen/nein-zur-organisierten-beihilfe-zum-suiz 2.7.2015
2.4.6 Diakonie fordert Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid (29.9.2014)
In einem Positionspapier lehnte die Diakonie am 29.9.2014, also noch vor der Orientierungsdebatte im Bundestag, die organisierte „Beihilfe zum Suizid“ ab:
„Die Diakonie Deutschland setzt sich für ein generelles Verbot organisierter, nicht nur gewinnorientierter/gewerblicher Sterbehilfe ein, weil durch jede Form organisierter Beihilfe zum Suizid, ob gewinnorientiert oder nicht, der Eindruck erweckt wird, Selbsttötung sei eine Gestalt des Lebensendes unter anderen. Zugespitzt: Wir befürchten, dass Suizid durch die organisierte Beihilfe zur gesellschaftlich akzeptierten, unhinterfragten normalen Variante des Sterbens wird und die Beihilfe zum Suizid zur entsprechend normalen Hilfe(leistung) für Sterbende. Das lehnen wir – gemeinsam mit der Evangelischen Kirche in Deutschland5 – ab. Angesichts der Tragweite der Problematik halten wir eine gesetzliche Regelung für angemessen.“
Die Diakonie hat sogar die individuelle ärztliche Suizidhilfe kategorisch abgelehnt:
„Die Diakonie Deutschland lehnt es ab, die Beihilfe zum Suizid zur möglichen ärztlichen Aufgabe bzw. zur in Ausnahmefällen möglichen ärztlichen, d. h. professionell zu erbringenden Leistung zu erklären.“
https://www.diakonie.de/media/Positionspapier__Assistierter_Suizid_140929.pdf S. 3
2.4.7 Zentralkomitee der deutschen Katholiken fordert Verbot der organisierten „Beihilfe zum Suizid“ (ZdK, 17.10.2014)
Am 17.10.2014, also noch vor der Orientierungsdebatte im Bundestag und lange vor der Veröffentlichung des BGEs, forderte das ZdK ein Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung:
„Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken appelliert an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, jede Form der organisierten Beihilfe zum Suizid ausnahmslos und strafbewehrt zu verbieten. … Wir sind überzeugt, dass es für den Schutz eines qualifizierten Selbstbestimmungs- rechts des Verbots der organisierten Beihilfe zur Selbsttötung bedarf. Denn wenn entsprechende Angebote vorhanden sind und allmählich etabliert werden, würden sie allein dadurch eine die gesellschaftliche Erwartungshaltung verschiebende Sogwirkung auslösen. Unter „organisierter Beihilfe“ werden Vereine, die Suizidbeihilfe unentgeltlich anbieten, und gewerbliche Anbieter ebenso verstanden wie Einzelpersonen und Ärzte, sofern es sich um auf Dauer angelegte Angebote mit wiederholter Durchführung handelt.“
Beschlossen vom ZdK-Hauptausschuss am 17.10.2014, d.h. vier Wochen vor der „Orientierungsdebatte“.
Dieser Text nimmt in komprimierter Form den BGE und dessen Begründung vorweg. Die 360 ganz überwiegend christlichen oder gläubig-muslimischen Abgeordneten, die am 6.11.2015 dem BGE zugestimmt haben, sind dieser und ähnlichen Forderungen nachgekommen. Wie stark das ZdK in Berlin mitregiert, zeigt die Tatsache, dass die folgenden Abgeordneten alle zugleich Mitglieder des ZdKs und des 18. Deutschen Bundestags sind und für den § 217 gestimmt haben:
CDU/CSU: Dr. Maria Böhmer, Thomas Dörflinger, Ingrid Fischbach, Dr. Maria Flachsbarth, Markus Grübel, Monika Grütters, Dr. Claudia Lücking-Michel, Nadine Schön, Peter Weiss
SPD: Michael Hartmann, Dr. Barbara Hendricks.
2.4.8 Bund katholischer Unternehmer und KKV fordern Verbot der organisierten „Beihilfe zum Suizid“ (19.2.2014)
In einer gemeinsamen Pressemitteilung von BKU und KKV (Bundesverband der Katholiken in Wirtschaft und Verwaltung e.V.) hieß es schon im Februar 2014, d.h. über ein Jahr vor der Veröffentlichung des BGEs:
„Angesichts der aktuellen Diskussion zum Thema Sterbehilfe sprachen sich die anwesenden Mitglieder des KKV-Bundesvorstands, die Bundesvorsitzende des Bundes Katholischer Unternehmer e.V. (BKU), Marie-Luise Dött MdB, und der Bundesvorsitzende des Kolpingwerkes, Thomas Dörflinger MdB, sowie die Abgeordneten Dr. Georg Kippels und Matthias Hauer für ein umfassendes gesetzliches Verbot der organisierten Beihilfe zum Suizid aus.“
http://www.bku.de/index.php?ka=1&ska=4&abs=40
2.4.9 Katholischer Deutscher Frauenbund fordert Verbot von „organisierter Suizidbeihilfe“ (12.10.2014)
„Der KDFB fordert den Gesetzgeber auf: … jedwede Form von organisierter Suizidbeihilfe gesetzlich zu verbieten.“ Beschluss der Bundesdelegiertenversammlung
2.4.10 Deutscher Ethikrat empfiehlt Verbot der geschäftsmäßigen „Suizidbeihilfe“ (18.12.2014)
Die Mitglieder des Deutschen Ethikrats werden vom Bundestag und vom Bundesrat ernannt und tendieren daher mehrheitlich dazu, Meinungen zu vertreten, wie sie in diesen Institutionen und bei den Kirchen vorherrschen. Im September 2012 plädierte der Ethikrat dafür, „jede Form der organisierten Suizidbeihilfe zu regulieren. Wie sich diese Regulierung konkret gestalten sollte, wurde jedoch kontrovers diskutiert“.
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/infobrief-03-12.pdf S. 5f
Am 18.12.2014 – man hat erst mal die Diskussion in der sog. Orientierungsdebatte des Bundestags am 13.11.2014 abgewartet – hat der Deutsche Ethikrat eine Ad-hoc Empfehlung veröffentlicht, in der u.a. steht:
„Allerdings sollten nach Auffassung der Mehrheit des Ethikrates Suizidbeihilfe sowie ausdrückliche Angebote dafür untersagt werden, wenn sie auf Wiederholung angelegt sind, öffentlich erfolgen und damit den Anschein einer sozialen Normalität ihrer Praxis hervorrufen könnten. Dies dient dem Schutz sozialer Normen und Überzeugungen, in denen sich der gebotene besondere Respekt vor dem menschlichen Leben widerspiegelt. Eine Suizidbeihilfe, die keine individuelle Hilfe in tragischen Ausnahmesituationen, sondern eine Art Normalfall wäre, etwa im Sinne eines wählbaren Regelangebots von Ärzten oder im Sinne der Dienstleistung eines Vereins, wäre geeignet, den gesellschaftlichen Respekt vor dem Leben zu schwächen. Des Weiteren und vor allem ist der Gefahr fremdbestimmender Einflussnahme in Situationen prekärer Selbstbestimmung vorzubeugen.“
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/empfehlung-suizidbeihilfe.pdf S. 3
Ähnliches findet sich schon im Entwurf der „christlich“ regierten Länder Saarland, Thüringen und Hessen (2006) und dem Gesetzentwurf der Malteser-Lobby-Organisation „Deutsche Stiftung Patientenschutz“ (2014) und später im BGE. Auf die Verbotsforderung und deren unzureichende Begründungsversuche gehe ich an anderer Stelle ein. Hier soll nur noch dargestellt werden, dass der Einfluss des Deutschen Ethikrats auf die Gesetzgebung insofern verfassungsrechtlich bedenklich ist, als viele von dessen Mitgliedern den Kirchen nahestehen oder sogar Vertreter der Kirchen sind und möglicherweise religiöse Anschauungen in die Gesetzgebung einfließen lassen wollen. Die Stellungnahme des Nationalen Ethikrats von 2006 zur „Selbstbestimmung und Fürsorge am Lebensende“ steht sogar graphisch unter dem zentralen Symbol des Christentums, dem Kreuz, auf dessen senkrechtem Balken unten das Thema und oben „Nationaler Ethikrat“ geschrieben steht:
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/selbstbestimmung-und-fuersorge-am-lebensende.pdf S. 1
Zu den drei Verfassern der Stellungnahme gehören ein Weihbischof (Anton Losinger, s.u.) und ein Theologie-Professor (Eberhard Schockenhoff, der auch für den Deutschen Ethikrat tätig geworden ist und den Rechtsausschuss des Bundestags im September 2015 beraten hat). Unter den 26 Mitgliedern des Ethikrats, die am 18.12.2014 „Zur Regelung der Suizidbeihilfe in einer offenen Gesellschaft“ Stellung genommen haben, fand ich schon mit wenig Mühe zumindest 15, die religiösen Anschauungen oder kirchlichen Organisationen nahestehen oder sich für diese engagieren oder engagiert haben:
Wolf-Michael Catenhusen, stellvertretender Vorsitzender des Ethikrats, war von 1999 bis 2011 Mitglied im Präsidium des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
Dr. Peter Dabrock, Stellvertretender Vorsitzender des Ethikrats, Prof. für ev. Theologie, Pfarrer (im Ehrenamt) der Ev.-Luth. Kirche in Bayern, war Mitglied in Kommissionen des Rates der EKD, seit 2014 Mitglied der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD.
Dr. Martin Hein ist ev. Bischof.
Dr. Thomas Heinemann ist Prof. an der Philosophisch-theologischen Hochschule Vallendar.
Dr. Wolfram Höfling ist Prof. für Staatsrecht, seit 2001 Mitglied im Vorstand bzw. Stiftungsrat der kath. Lobby-Organisation Deutsche Stiftung Patientenschutz (s. 3.6).
Dr. Ilhan Ilkilic, PD, muslimischer Medizin-Ethiker, hat sich schon für die Legalisierung der religiös motivierten, aber ethisch verwerflichen Vorhautamputation bei Säuglingen und Knaben eingesetzt.
Dr. Leo Latasch, jüdischer Arzt, Apl. Prof., Mitglied im Direktorium des Zentralrats der Juden in Deutschland, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde in Frankfurt, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Zentralen Wohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland (ZWST), hat sich schon für die Legalisierung der religiös motivierten, aber ethisch verwerflichen Vorhautamputation bei Säuglingen und Knaben eingesetzt.
Dr. Anton Losinger ist Weihbischof, Großoffizier des Ritterordens vom Heiligen Grab zu Jerusalem.
Dr. Eckhard Nagel ist Prof. für Medizinmanagement und Gesundheitswissenschaften, seit 2001 Mitglied des Präsidiumsvorstands des Deutschen Evangelischen Kirchentages.
Ulrike Riedel war Mitglied der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD.
Dr. Edzard Schmidt-Jortzig war Prof. für Öffentliches Recht, Richter und Bundesminister. Von 1997 bis 2004 war er Mitglied der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland.
Dr. Eberhard Schockenhoff ist Prof. für röm.-katholische Moraltheologie.
Dr. Elisabeth Steinhagen-Thiessen, Prof. für Innere Medizin/Geriatrie, war von 1995 bis 2014 Ärztliche Direktorin des Evangelischen Geriatriezentrums Berlin.
Dr. Christiane Woopen, Vorsitzende des Ethikrats, Prof. für Ethik und Theorie der Medizin, Stipendiatin der Bischöflichen Stiftung Cusanuswerk, arbeitete am ev. Krankenhaus Weyertal, freie Mitarbeiterin des Cusanuswerkes, „1998/1999 war sie Mitglied der Experten-Kommission „Skabies“ an der Diakonie Michaelshoven in Köln und 1998/1999 Mitglied der Arbeitsgruppe „Abtreibungen bei zu erwartender Krankheit oder Behinderung des Kindes im Rahmen der medizinischen Indikation“ des Zentralkomitees der deutschen Katholiken … von 2000 bis 2007 Mitglied des Bundesvorstands von donum vitae und von 2000 bis 2005 Mitglied des Landesvorstands von Frauen beraten/Donum vitae e. V. NRW.“ (Wikipedia).
Dr. Michael Wunder ist Diplom-Psychologe der Evangelischen Stiftung Alsterdorf (Diakonie)
2.4.11 BAG Christinnen und Christen von Bündnis90/Die Grünen (7.3.2015)
Christliche Arbeitskreise, die versuchen, auf die Politik ihrer Parteien Einfluss zu nehmen, haben alle derzeit im Bundestag vertretenen Parteien. Ich beschränke mich hier auf B90/Grüne.
„Unsere Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) versteht sich als eine politische Gruppierung der Partei, die davon ausgeht, dass die Umsetzung grüner Ideen und die Beachtung biblisch-christlicher Werte zwangsläufig zu gemeinsamem politischen Handeln führt.“
http://gruene-bag-christinnen.de/willkommen
Dass dies nicht immer so ist, zeigt allein schon die Abstimmung der Grünen zum § 217. Es könnte aber sein, dass christliche Aktivisten innerhalb der Parteien das eine oder andere MdB zu einem Ja für den § 217 „verleitet“ haben. Denn Mitglieder des Bundestags können sich nicht mit jedem Gesetz, über das sie abstimmen sollen, gründlich beschäftigen und dürften bei komplizierten ethischen und rechtlichen Problemen wie der Suizidhilfe gelegentlich überfordert sein. Die WAZ schrieb am Tag vor der Abstimmung im Bundestag: „„Dieser Tag wird sehr spannend“, sagt Christel Voßbeck-Kayser, die 30 Jahre im Gesundheits- und Sozialdienst gearbeitet und sich somit schon lange mit dem Thema Sterbehilfe beschäftigt hat. Viele Abgeordnete seien völlig unsicher, welchem der vier Anträge sie zustimmen sollen, so die Bundestagsabgeordnete.“ Frau Voßbeck-Kayser ist MdB. Sie gehört zu den wenigen Abgeordneten der CDU/CSU, die am 6.11.2015 für den Hintze-Reimann-Entwurf gestimmt haben.“
http://www.derwesten.de/ikz/staedte/iserlohn/das-wird-ein-spannender-tag-id11257058.html
Die christlich-grüne BAG forderte am 7.3.2015, also noch vor der Veröffentlichung des BGEs, ein „Verbot der geschäftsmäßigen Beihilfe zur Selbsttötung durch Organisationen und Einzelpersonen (planvoll und wiederholt, mit oder ohne Gewinnerzielungsabsicht)“, was dem neuen § 217 entspricht. Auch die in dem Positionspapier „STERBEBEGLEITUNG UND STERBEHILFE“ präsentierte Begründung dieser Forderung stimmt mit den Erläuterungen im BGE gut überein.
http://gruene-bag-christinnen.de/userspace/BV/bag_christinnen/Dokumente/GC_BroschSterbehilfe_A6.pdf
Diese fromme BAG macht den Kirchen bestimmt viel Freude, denn um „das Nachdenken über die ethischen Grundlagen politischen Handelns anzustoßen, für zivilgesellschaftliches Engagement zu werben und bei der Konfliktprävention mitzuwirken … stehen wir in ständigem Kontakt mit maßgebenden Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen.“
Für mich sind solche Abgeordnete der verlängerte Arm der Kirchen in den Parlamenten.
2.5 Verbot von Suizid und Suizidhilfe im Islam
Während es in der Bibel kein explizites „Wort Gottes“ zum Suizid gibt, findet man in der islamischen Überlieferung dazu eindeutige Aussagen:
Sure 4,29: … und begeht nicht Selbstmord …
Sure 4,30: Und wer dies tut in Feindschaft und Frevel, wahrlich, den werden Wir brennen lassen im Feuer; denn dies ist Allah ein Leichtes.
Der Koran, übersetzt von Max Henning, Reclam, 1991
In einem Hadith (von Buchari überliefert, d.h. mit authentischer Überlieferungskette) heißt es:
„Al-Hasan berichtete, dass Gundub berichtete, dass der Prophet Muhammad, Allahs Segen und Friede auf ihm sagte: Ein Mann litt an Verletzungen und beging deshalb Selbstmord. Allah sagte dazu „Mein Knecht nahm sich das Leben und ist Mir damit zuvorgekommen; Ich verwehre ihm das Paradies.““ http://islam.de/1641.php Nr. 14
„“Der Islam befürwortet die Sterbehilfe nicht“, sagt Ridvan Cakir, Vorsitzender der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB. Im Islam habe der Mensch nicht die Wahl, über das Ende seines eigenen Lebens oder das eines Anderen zu bestimmen. Gott habe dem Menschen das Leben gegeben und nur Gott dürfe es beenden.“
http://www.taz.de/1/archiv/?id=archivseite&dig=2005/05/04/a0017 4.5.2005
In einer Handreichung des Zentralrats der Muslime heißt es:
„Auch die Selbsttötung und die ärztliche Beihilfe zum Suizid werden abgelehnt.“
http://islam.de/files/pdf/sterbehilfe_islam_zmd_2013_03.pdf S. 10
2.6 Prominente Suizidhelfer: Kritik und persönliche Angriffe
Um ein Verbot der organisierten Sterbehilfe vorzubereiten, haben etliche Kirchenfunktionäre, Arztfunktionäre und Politiker schon seit Jahren Stimmung gegen entsprechende Vereine und Einzelpersonen gemacht. Dies findet man sowohl in allgemeiner Form als auch in auf prominente Sterbehelfer bezogenen unsachlichen Passagen von Reden im Bundestag:
„Kolleginnen und Kollegen, wir müssen auch dafür sorgen, dass medizinischen Laien, selbsternannten Sterbehelfern und anderen zwielichtigen Personen, das Handwerk gelegt wird. Ich will nicht, dass verzweifelte Menschen sich an anonyme Sterbehilfevereine wenden müssen.“
Dr. Carola Reimann (SPD), Orientierungsdebatte, pdf S. 8
.2.6.1 Uwe-Christian Arnold
Der einzige ärztliche Suizidhelfer in Deutschland, der nach Prof. Hackethal durch die Medien vielen Bürgern bekannt geworden ist, ist der Berliner Urologe und Palliativmediziner Uwe-Christian Arnold, der nach eigenen Angaben schon in über 200 Fällen Suizidhilfe geleistet hat.
Kurzbiografie: http://www.giordano-bruno-stiftung.de/beirat/arnold-uwe-christian
Nachdem ich mich über Herrn Arnold u.a. durch dessen Buch „Letzte Hilfe“, auf youtube.de einsehbare Videos (z.B. https://www.youtube.com/watch?v=XboTJMo-f24 ) und einen Vortrag, den er im Herbst 2015 im Café Alex in Duisburg gehalten hat, informiert habe, halte ich Arnold für einen aufrechten, hochanständigen Menschen, der verzweifelte Menschen nicht im Stich lässt und keineswegs leichtfertig Patienten „entsorgt“ oder in erster Linie hinter Ruhm und Geld her ist.
Auch wenn Herr Arnold sich nur die Reisekosten erstatten ließe, fiele seine quasi ehrenamtliche Tätigkeit nun als „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ unter das neue Gesetz.
Schon 2005 wurde Herr Arnold als zweiter Vorsitzender des Vereins Dignitas Deutschland von Frau Dr. Käßmann und Frau Dr. von der Leyen in pauschalisierender Weise angegriffen (s. 2.4.1).
Diese Pressemitteilung vertritt eine simplifizierende und nach meiner Einschätzung religiös voreingenommene Sicht auf leidvolles Sterben: Hier die Guten, die Palliativmedizin, Hospizarbeit und individuelle Zuwendung anbieten, und dort die Bösen, die sich auf menschenverachtende Weise der Alten und Kranken entledigen. Die Berechtigung professioneller Suizidhilfe in bestimmten Fällen wird – zu Unrecht – implizit bestritten, humanistische Motive der Suizidhelfer werden für ausgeschlossen gehalten.
Die „Hart aber fair“-Sendung vom 19.11.2012 hatte den reißerischen Titel „Mut zur Menschlichkeit oder Mord – darf ein Arzt beim Sterben helfen?“.
Zu Beginn der Sendung fragte der Christ Frank Plasberg Herrn Arnold:
„Herr Arnold, wieviel Bestätigungen dieser Art brauchen sie noch, um in ihrem Kopf den Schalter umzulegen vom ärztlichen Heilen zum ärztlichen Töten?“. Die falschen Unterstellungen im Titel der Sendung und die obige Frage kann man eventuell als journalistische Technik rechtfertigen. Beides zeigt aber, dass es (auch) zum Zeitpunkt dieser Sendung in den Medien und entsprechend in der Bevölkerung begrifflich zum Teil drunter und drüber ging. Offensichtlich war die kirchliche und mediale Kampagne gegen Herrn Arnold, Dignitas Deutschland und StHD nicht ohne Wirkung geblieben.
Davon zeugt auch die Einlassung von Herrn Henning Scherf, der vor allem als Bremer Bürgermeister bekannt wurde und der Evangelischen Kirche nahe steht (Scherf war Stipendiat und später Mitglied der Leitung des Evangelischen Studienwerks sowie Mitglied des Präsidiums des Deutschen Evangelischen Kirchentages). Er sagte in der mir vorliegenden Aufzeichnung der Sendung:
„Das, was Herr Arnold da betreibt, er ist ja (?) unterwegs, er fährt ja richtig durch die Lande, er sucht sozusagen seine Patienten, das befremdet mich sehr, muss ich sagen, ich hab so einen Arzt wie Sie noch nie getroffen. … Ich hab bei ihm das Gefühl, er ist richtig her hinter den Patienten. Das befremdet mich sehr.“ https://www.youtube.com/watch?v=7lld9HyIQU4 ab 6:10
Neben Herrn Arnold saßen am Podium außer Herrn Scherf noch zwei weitere engagierte Christen, nämlich die überzeugte Christin und Palliativmedizinerin Dr. Barbara Schubert und der Mönch „Bruder Paulus“ Terwitte, was widerspiegelt, dass die Medien in Deutschland beim Thema „Suizidhilfe“ Christen – zu Unrecht – für besonders kompetent halten.
Für skandalös halte ich die Äußerung des Mitglieds des Ethikrats Prof. Wolfram Höfling, der Experte für Straf- und Staatsrecht ist, aber sich nicht scheut, vor großem Publikum amateur- psychologische Ferndiagnostik zu betreiben:
„Wer diese Sachen aus missionarischem Eifer macht – 250 bis 300 Fälle in dem einen Fall, da muss man sich doch fragen: Was treibt einen solchen Menschen eigentlich um?“
http://www.ethikrat.org/dateien/pdf/plenarsitzung-27-11-2014-simultanmitschrift.pdf 27.11.2014
Da wäre es hilfreich gewesen, wenn Herr Dr. Höfling nicht nur sich oder vielleicht Eugen Brysch gefragt hätte, sondern Herrn Arnold selbst. (Herr Brysch leitet die katholische DSP, die mit „missionarischem Eifer“ seit 2005 gegen Herrn Dr. Minelli und Herrn Arnold, später auch Dr. Kusch, gearbeitet hat, s. 3.6. Herr Dr. Höfling ist seit 2001 Mitglied im Vorstand bzw. Stiftungsrat der DSP, die sich – möglicherweise schon ab 2006 – für ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizidhilfe eingesetzt hat.)
„Einzelne „Dienstleister“ rühmen sich laut Kerstin Griese in Talkshows damit, 200 Menschen dadurch zum Tod verholfen zu haben, dass man sie mit einem Giftbecher allein im Zimmer zurückgelassen hat.“
Gemeint ist Herr Arnold, dem Frau Griese gemeinerweise anlastet, dass er Sterbende allein gelassen hat. Schuld daran war aber nicht Herr Arnold, sondern der juristische Irrsinn der „Garantenstellung“ auch nach Suizidhilfe, durch den Herr Arnold strafrechtlich gezwungen gewesen wäre, nach Einnahme des tödlichen Medikaments sich um eine Lebensrettung des Suizidenten zu bemühen. Dieser hätte dann – möglicherweise mit einer schweren Schädigung – überlebt. Wäre der Patient „an der Hand des Arztes“ gestorben, hätte Herr Arnold eine Strafe wegen unterlassener Hilfeleistung nach §§ 13 und 323c StGB riskiert. Die herrschende Meinung der Juristen zur Garantenstellung bei Suiziden scheint sich aber zu ändern oder schon geändert zu haben.
2.6.2 Dr. Roger Kusch
Herr Dr. Kusch ist Christ (Autor des Buch „Sterbehilfe aus christlicher Nächstenliebe“) und war Mitglied der CDU. Als Hamburger Justizsenator hat er sich für eine Ausnahmeregelung beim § 216 StGB eingesetzt und schon damals Kritik sich zum Christentum bekennender Politiker auf sich gezogen. In einem veröffentlichten Streitgespräch warf ihm Katrin Göring-Eckhard u.a. vor:
„Wenn wir aktive Sterbehilfe einführen, verändert das unsere Gesellschaft. Ich halte Ihre Forderungen für falsch. Eine solche Regelung würde den Druck auf todkranke Patienten, Sterbehilfe in Anspruch zu nehmen, enorm erhöhen. … Viele alte Leute sagen doch jetzt schon: Ich falle meiner Familie und dem Gesundheitssystem nur noch zur Last. Wir sollten es nicht so weit treiben, dass sie sich genötigt fühlen, sozusagen sozial verträglich abzuleben. Und die Gefahr sehe ich, wird Ihr Vorschlag umgesetzt.“
Dazu entgegnete Herr Kusch:
„Ich nehme Ihren Einwand ernst. Aber für die Straflosigkeit der Sterbehilfe müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein: Ein Arzt muss bescheinigen, dass es sich um eine tödliche, unheilbare Krankheit handelt. Zweite Bedingung ist ein intensives ärztliches Beratungsgespräch, bei dem es neben den medizinischen auch um psychologische Fragen gehen sollte. Und drittens: die notariell beglaubigte Willenserklärung des Betroffenen bei vollem Bewusstsein. Menschen, die nicht todkrank sind, nur meinen, zur Last fallen, können diese Hürden gar nicht nehmen. Ich sehe unsere Gesellschaft auch nicht als eine, die an ältere Menschen die unanständige Forderung erhebt, endlich Platz zu machen.“ http://www.stern.de/politik/deutschland/deutschland–nicht-der-tod–das-sterben-ist-das-tabu–3290572.html
Dr. Kusch ist Vorsitzender des Vereins „Sterbehilfe Deutschland (StHD)“, der Ende 2014 noch 613, Ende 2015 – wohl wegen des § 217 – nur noch 543 Mitglieder hatte. StHD ist die einzige Organisation, die in Deutschland in den letzten Jahren Suizidhilfe geleistet hat (254 Fälle in sechs Jahren). Die Zahlen entstammen dem Buch:
Roger Kusch: Der Ausklang. § 217 StGB verändert Deutschland, BoD, 2016.
Mit Hilfe dieses Vereins konnten Sterbewillige, die nach einer psychiatrischen Begutachtung „grünes Licht“ erhalten hatten, zwei Becher austrinken, die in Wasser gelöste rezeptpflichtige Medikamente enthielten. Mittel 1 war in der gewählten Dosierung tödlich, Mittel 2 war ein Beruhigungsmittel. War jemand nicht mehr in der Lage, einen Becher auszutrinken, wurde ein Injektionsautomat verwendet, der vom Sterbewilligen ausgelöst wurde und intravenös zuerst eine betäubende und dann eine tödlich wirkende Flüssigkeit zuführte.
Eugen Brysch, der Geschäftsführer von Deutsche Stiftung Patientenschutz (DSP), die zum Malteserorden gehört, äußerte sich am 30.6.2008 wie folgt über Dr. Roger Kusch:
„Wir dürfen nicht einem politischen Amokläufer aufsitzen, der scheinbar aus tiefstem Narzissmus die Angst der Menschen vor Pflege missbraucht, nur um öffentliche Aufmerksamkeit auf seine eigene Person zu lenken“, betont Brysch … .Kusch versteht es, den Unterschied zwischen Sterben und Töten nicht nur zu verwischen, sondern auch ad absurdum zu führen. Er betont zwar, dass die von ihm mit Medikamenten für den Suizid versorgte Frau ihre Entscheidung zu sterben, selbstbestimmt und in völliger Freiheit getroffenen habe. Auf ihre Angst, zum Pflegefall zu werden, also die Bedingungen unter denen sie sie getroffen hat, geht Kusch aber nicht ein. Genau aus dieser Angst zieht es laut einer Umfrage mehr als ein Drittel der Deutschen vor, lieber selbst Schluss zu machen statt zum Pflegefall zu werden. Ginge es Kusch tatsächlich um eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung um Würde am Lebensende, müsste er genau auf diese Bedingungen eingehen. „Durch seine selbstgerechte und pervertierte Art disqualifiziert er sich selbst: Kusch als Exekutor? Nichts berechtigt diesen Mann, sich zum Herr über Leben und Tod aufzuschwingen“, verdeutlicht Brysch.“
Diese amateurpsychologische Ferndiagnose eines ehemaligen Journalisten halte ich für unangemessen. Herr Dr. Kusch war weder Exekutor noch als Herr über Leben und Tod tätig. Die Angst der Frau, zum Pflegefall zu werden, war vermutlich berechtigt, und es war nicht zu erwarten, dass sich die Pflegesituation in Deutschland in Kürze wesentlich verbessern würde. Hätte er nicht Suizidhilfe geleistet, wäre die Frau wahrscheinlich gegen ihren Willen zum Pflegefall geworden, oder sie hätte zu einer unsicheren oder schonungslosen Suizidmethode greifen müssen.
Statt vernünftige Argumente gegen die organisierte Suizidhilfe vorzubringen, versucht Herr Brysch lediglich Herrn Kusch als Person herabzusetzen. Schon von daher erscheint mir bedenklich, dass Brysch die Verfasser des BGEs beraten hat (s. Rede von Kerstin Griese am 2.7.2015 im Bundestag). Dass noch nicht genug für die Verbesserung der Situation in Pflegeheimen getan wurde, ist kein Grund dafür, jemandem die Suizidhilfe zu verweigern. Nach der „Logik“ von Herrn Brysch sollte auch niemand Obdachlosen helfen, sondern statt dessen nur Maßnahmen fördern, die geeignet sind, die Entstehung von Obdachlosigkeit zu verhindern. Und selbst wenn überall die Pflege sehr viel besser wäre, würde es weiterhin Menschen geben, die den Tod einem Leben im Pflegeheim oder im häuslichen Krankenbett vorziehen würden. Im Übrigen ist die Existenz von StHD durchaus geeignet gewesen, auf Mängel in der Betreuung alter Menschen hinzuweisen.
Hubert Hüppe, MdB, Behindertenbeauftragte der CDU/CSU und Mitbegründer des Vereins „Christdemokraten für das Leben“, unterstellte Herrn Dr. Kusch am 20.11.2013 in der Talkshow „Anne Will“ wahrheitswidrig , dabei zu helfen, Menschen zu töten:
„… ich gehöre zu denjenigen, die sagen, dass die organisierte Selbsttötung oder die Werbung dafür, dass die verboten sein sollte, weil eben dabei genau das passiert ist, was mit ihren Fällen wenig zu tun hat, was zum Beispiel der Herr Kusch macht in Deutschland, wo dann eben auch Menschen, die gar nicht sterbenskrank sind, und zwar die Mehrzahl derer nicht sterbenskrank sind, sich dann mit seiner Hilfe töten lassen.“
https://www.youtube.com/watch?v=ABJnSDn4RMY 34:50
Renate Künast (B90/Grüne):
Um Herrn Dr. Kusch unmittelbar vor den Abstimmungen am 6.11.2015 herabzusetzen, suggerierte Frau Künast entgegen der gebotenen Unschuldsvermutung, dass dieser ein Straftäter ist:
„Und Kusch allein kann kein Dammbruch sein, zumal der Staatsanwalt in Hamburg bereits nach dem geltenden Recht tätig ist.“ Protokoll, pdf S. 14 li
Ein paar Wochen später hat das Landgericht die Klage gegen Kusch abgewiesen, s. 4.3.4.3.
Ähnlich Katia Keul (B90/Grüne):
„Auch wer die Grenzen von der Beihilfe zur Tatherrschaft überschreitet, wie die Juristen das nennen, wird wegen eines Tötungsdeliktes zur Verantwortung gezogen, so auch die aktuelle Anklage gegen Herrn Kusch, der Anlass für die ganze Debatte sein soll.“ S. 16 li
Ähnlich Dr. Petra Sitte (Linke), Rede im Bundestag am 6.11.2015, S. 19 li:
„Zweitens stehen Sterbehilfevereine in der Kritik. Roger Kusch mit Sterbehilfe Deutschland gilt als das schwarze Schaf. Nur, mit ihm beschäftigen sich regelmäßig Ermittlungsbehörden und Gerichte. Also: Unser Rechtsstaat funktioniert doch hier augenscheinlich ziemlich gut, auch ohne strengere Gesetze.“
Nein, hier hat der Rechtsstaat Mist gebaut und Abgeordnete des Bundestags in die Irre geführt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg hat zeitlich parallel zur Sterbehilfe-Diskussion im Bundestag den Ruf von Herrn Kusch durch ein unsinniges Ermittlungsverfahren schwer geschädigt (s. 4.3.4.3). Das dürfte bei der Mehrheitsbeschaffung für § 217 geholfen haben.
2.6.3 Dr. Ludwig A. Minelli
„„Beihilfe zur Selbsttötung, kann nicht die Lösung für schwerstkranke Menschen oder Menschen mit schwersten Behinderungen sein, um ihnen ihre Schmerzen und ihre Verzweiflung zu nehmen und ihnen in ihrer ihnen häufig ausweglos erscheinenden Situation zu helfen. Die unwürdigen und Menschen verachtenden Vorgehensweisen der Schweizer Organisation Dignitas sind scharf zu verurteilen;“ dies sagte Dr. Birgit Weihrauch, Vorsitzende des Deutschen Hospiz- und PalliativVerbands, anlässlich der bekannt gewordenen jüngsten Fälle von Beihilfe zur Selbsttötung durch Dignitas.“ http://www.dhpv.de/presseerklaerung_detail/items/2007-11-06_Dignitas.html 6.11.2007
Frau Dr. Birgit Weihrauch verwendet hier – wie viele nach ihr und evtl. schon einige vor ihr – einen rhetorischen Trick. Tatsächlich ist Suizidhilfe nicht die Lösung, aber durchaus eine mögliche Lösung für eine Untergruppe von schwerstkranken oder schwerstbehinderten Menschen. Typisch ist auch, dass der Vorwurf gegen Dignitas vage bleibt und auf Argumente verzichtet wird.
Im Jahr 2007 hat MdB Ingrid Fischbach – möglicherweise in religiösem Übereifer, denn sie ist Mitglied im ZdK – wahrheitswidrig der Suizidhilfe-Organisation Dignitas unterstellt, sie würde sterbewillige Personen töten:
„“Was wir brauchen, ist nicht eine Tötung von sterbewilligen Personen, wie sie Dignitas praktiziert, sondern eine Sterbebegleitung, die diesen Namen auch verdient“, sagte sie.“
https://www.landeskirche-hannovers.de/evlka-de/presse-und-medien/nachrichten/2007/11/20-7253
2.7 Der Bundespräsident: „An der Hand, nicht durch die Hand!“
Dass sich der Bundespräsident und ehemalige Pfarrer Gauck in Hinblick auf eine gesetzliche Regelung der Suizidhilfe als Vertreter des Volks erweisen und § 217 seine Unterschrift verweigern würde, war spätestens nach einer Veranstaltung am 2.11.2015 mit Gästen aus der Palliativ- und Hospizmedizin im Schloss Bellevue nicht mehr zu erwarten. Der Journalist Matthias Kamann schrieb dazu u.a.:
„Denn Gauck selbst machte sich in seiner Einleitung einen zentralen Satz der Sterbehilfe-Debatte zu eigen. Einen Satz, der unentwegt von den Anhängern eines Verbots wiederholt wird: „Nicht durch die Hand eines andern sollen die Menschen sterben, sondern an der Hand eines anderen.“ Was er selbst bei diesem Thema empfinde, so Gauck, könne er „nicht besser sagen“ als mit diesem Satz.“
Kamann weist dann zurecht darauf hin, dass in der aktuellen Bundestagsdebatte der § 216 StGB nicht zur Diskussion stünde, auch bei der Suizidhilfe liebevoll die Hand gehalten werden könne, und viele Palliativmediziner zu Suizidhilfe bereit seien. Außerdem seien auch Befürworter der Suizidhilfe für einen Ausbau der Hospizbetreuung.
Ein Foto in der Osthessen-News zeigt den Ex-Pastor und Bundespräsidenten Gauck mit zwei Männern, die sich besonders intensiv nicht nur für die Palliativmedizin, sondern auch für den § 217 eingesetzt haben: die Christen Dr. Thomas Sitte (s. .3.6) und Michael Brand (CDU). Auch dieses Foto zeigt „mehr als tausend Worte“, wem Joachim Gauck in der Suizidhilfe-Debatte nahestand.
2.8 Christliche Abgeordnete als treibende Kräfte hinter dem § 217
2.8.1 Ranghohe und als Christen besonders engagierte Abgeordnete (Beispiele)
Die politische Spitze Deutschlands besteht zur Zeit ganz überwiegend aus Christen: Bundespräsident ist der ehemalige evangelisch-lutherische Pfarrer Joachim Gauck, auch Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, die bekanntlich Tochter eines Pfarrers ist, und die Fraktionsvorsitzenden von CDU/CSU, SPD und B90/Grüne, Kauder, Oppermann und Göring-Eckhardt, sind ebenfalls Christen. Alle Mitglieder der Bundesregierung und die meisten Regierungschefs der Bundesländer gehören einer Kirche an.
Auch der designierte Bundespräsident, Dr. Frank-Walter Steinmeier (SPD), ist ein engagierter Christ. Er ist Mitglied des Präsidiums des Deutschen Kirchentags. Für den § 217 haben sich außer Herrn Oppermann und Herrn Steinmeier u.a. die folgenden Abgeordneten eingesetzt:
Michael Brand (CDU)
„In Bonn trat Brand auch dem wissenschaftlichen katholischen Studentenverein Unitas-Salia bei. …
seit 2015 Mitglied der Kammer für Öffentliche Verantwortung der EKD“
https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Brand_(Politiker)
Herr Brand ist 1. Vorsitzender des Hospiz-Fördervereins Fulda. „Der Verein folgt in seiner Arbeit der christlichen Auffassung zur Sterbebegleitung. Er spricht sich deshalb ausdrücklich gegen aktive Sterbehilfe aus und betreibt durch seine Öffentlichkeitsarbeit entsprechende Aufklärung, insbesondere über die Unvereinbarkeit der von ihm vertretenen christlichen Grundwerte mit einer aktiven Sterbehilfe.“ Der Verein unterstützt das St. Elisabeth-Hospiz und die ambulante Hospizarbeit der Malteser im Raum Fulda.
Katrin Göring-Eckardt hat mehrere Jahre lang Theologie studiert und ist mit einem Pfarrer verheiratet. Sie ist Mitglied des Präsidiums des Deutschen Kirchentags. Von 2009 bis September 2013 war sie Präses der Synode der EKD und Mitglied im Rat der EKD. „Man kann nicht mit der Bibel in der Hand Politik machen, aber in der Tasche kann man sie schon haben. Für mich hat mein Protestantismus viel mit Freiheit zu tun. 2017 feiern wir 500 Jahre Reformation. Der Satz von Martin Luther: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir“ – der bedeutet mir viel, auch wenn er ihn vielleicht gar nicht so gesagt hat. Für mich bedeutet der Satz: Ich stehe zu meinen Überzeugungen, und ich weiß, ich muss es nicht alleine machen, Gott ist bei mir.“
http://www.rp-online.de/politik/deutschland/katrin-goering-eckardt-wir-muessen-mehr-fuer-unsere-werte-kaempfen-aid-1.6153857 Rheinische Post, 1.8.2016
Hermann Gröhe (CDU)
Der CDU-Generalsekretär und Gesundheitsminister gehörte viele Jahre dem Rat der EKD an. Er hat die Marschroute für den neuen § 217 vorgegeben. Im Bundestag sagte er zur gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe am 6.11.2015: „Mich motiviert in dieser Frage mein Glaube, aber inhaltlich geht es mir um die Verteidigung der Rechtsschutzorientierung unserer Verfassungsordnung.“
Auch bei Gröhes Betonung des Rechtsschutzes, aber nicht des Freiheitsschutzes, scheint mir seine christliche Mentalität eine Rolle zu spielen. Auf einer Seite des Bundesministeriums für Gesundheit teilt er mit: „Die Würde des Menschen wird in bedenklicher Weise reduziert, wenn sie mit Selbstbestimmung gleichgesetzt wird. Wir Menschen sind keine reinen Vernunftwesen. Zu unserem Menschsein gehört unsere Leiblichkeit, gehört Bedürftigkeit, und das schließt ein: Fürsorge zu geben – und Fürsorge zu empfangen.“
http://www.bmg.bund.de/presse/interviews/zeitzeichen-010914.html
Bei dieser konservativ-religiös getönten Betrachtungsweise vergisst Herr Gröhe Menschen, die sich einer solchen Bedürftigkeit und Fürsorge (die am Lebensende z.B. in einem Pflegeheim mangelhaft sein kann) mit Unterstützung eines professionellen Suizidhelfers entziehen wollen.
Rudolf Henke (CDU)
ist römisch-katholischer Christ und Oberarzt der Klinik für Hämatologie und Onkologie am St.-Antonius-Hospital in Eschweiler. „Seit 1981 ist Henke Mitglied der Kammerversammlung der Ärztekammer Nordrhein, seit 1985 in deren Kammervorstand, seit November 2011 als Präsident.[2] 1995 wurde er erstmals in den Vorstand der Bundesärztekammer gewählt. Seit 1991 bekleidet er den Posten des ersten Vorsitzenden des Landesverbandes Nordrhein-Westfalen/Rheinland-Pfalz im Marburger Bund. Am 10. November 2007 wurde Henke als Nachfolger von Frank Ulrich Montgomery zum Vorsitzenden des Marburger Bundes gewählt.“
https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Henke
„In der Öffentlichkeit kaum bekannt, doch in Ärzteverbänden bestens vernetzt: Der CDU-Abgeordnete und Arzt Rudolf Henke bekleidet neben seinem Mandat zahlreiche Funktionen. Er ist Chef des Ärzteinteressenverbands Marburger Bund und Präsident der Ärztekammer Nordrhein. Auch seine Posten im Ärztebeirat der Allianz-Versicherung und der Deutschen Ärzteversicherung sind gut bezahlt. Insgesamt bezog Henke in den Nebeneinkünfte von mindestens 147.000 Euro. Als stellvertretender Vorsitzender des Gesundheitsausschusses hat er großen Einfluss auf gesundheitspolitische Entscheidungen.“
Herr Henke hat nach eigenen Angaben im Vorfeld des BGEs eine entscheidende Rolle gespielt:
„Ganz konsequent habe ich mich dabei engagiert, dass ein erwogenes Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung nicht nur offen kommerzielle sondern alle organisierten derartigen Dienste einschließen müsse – ein bereits geplanter Gesetzentwurf ist deshalb zurückgestellt worden.“
http://www.rudolf-henke.de/rudolf-henke-im-interview
Dr. Franz-Josef Jung (CDU)
Jung ist Beauftragter für Kirchen und Religionsgemeinschaften der CDU/CSU-Fraktion.
Siehe Zitate unter 2.8.2.
Volker Kauder (CDU)
Der Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU ist ein dem evangelikalen Spektrum nahestehender Christ. Er wurde im Juni 2014 mit der Komturstufe des päpstlichen Gregoriusordens für „sein von christlichen Werten geprägtes Handeln in Politik und Gesellschaft“ dekoriert. Siehe auch Zitat unter 2.8.2.
Dr. Angela Merkel (CDU)
Die Bundeskanzlerin und Bundesvorsitzende der CDU war von 1992 bis 1993 Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU. In öffentlichen Auftritten als Bundeskanzlerin hat Frau Merkel sich wiederholt zum Christentum bekannt und beklagt, viele Bürger würden sich nicht mehr gut mit dem Christentum auskennen, was der fortschreitenden Säkularisierung geschuldet sei. Europäern, die Angst vor einer Islamisierung haben, hat sie geraten, sich auf den christlichen Glauben zu besinnen, und in der Bibel zu lesen. Zu wenige würden in den Gottesdienst gehen.
Elisabeth Scharfenberg (B90/Grüne)
Die evangelische Diplom-Sozialpädagogin war beim Diakonischen Werk Wunsiedel tätig. Sie ist Mitglied des Gesundheitsausschusses und Sprecherin ihrer Fraktion für Alten- und Pflegepolitik.
Nach eigener Angabe hat sie den BGE mitentwickelt:
„In diesem Sinne bitte ich Sie sehr herzlich um Unterstützung unseres Gesetzentwurfs, den ich gemeinsam mit meinen Kolleginnen und Kollegen Kerstin Griese, Michael Brand, Kathrin Vogler, Dr. Harald Terpe und anderen entwickelt habe.“ Rede im Bundestag am 6.11.2015, pdf S. 23 (A)
Im Parlament und in der Öffentlichkeit galt es als beschlossene Sache, dass bei der namentlichen (!) Abstimmung zu Gesetzesvorlagen zur Sterbehilfe kein „Fraktionszwang“ bestehen, sondern jeder Abgeordnete seinem Gewissen folgen sollte. Kurz vor der Abstimmung haben jedoch die Vorsitzenden von CDU/CSU, SPD und B90/Grüne, Kauder, Oppermann und Göring-Eckhardt, entgegen dieser Absprache in einem gemeinsamen Brief an alle Abgeordneten ihrer Fraktionen empfohlen, für den BGE zu stimmen:
„In unserer Funktion als Abgeordnete wenden wir uns an Sie und werben um Zustimmung für den Gesetzentwurf von Michael Brand, Kerstin Griese, Kathrin Vogler und Dr. Harald Terpe, den wir nach sorgfältiger Prüfung auch unterschrieben haben.“
Mit diesem Schreiben haben diese drei Fraktionsvorsitzenden versucht, Druck auf jene Abgeordneten auszuüben, die den BGE noch nicht unterschrieben hatten. Bei der CDU/CSU waren das vergleichsweise wenige, aber der Druck insofern umso größer, als für ein Gesetz geworben wurde, das dem Willen der Kirchen, der christlichen Bundeskanzlerin und dem christlichen Selbstverständnis von CDU und CSU entsprach. Herrn Oppermann und Frau Göring-Eckhard dürfte klar gewesen sein, dass sie sich gegen die Mehrheit ihrer Fraktionen stellen. Dafür muss es einen besonderen Grund gegeben haben, und ich vermute bei beiden eine religiöse oder religiös-opportunistische (Rücksicht auf die Kirchen) Motivation. Der Journalist Bernhard Walker hat diesen skandalösen Vorgang am 4.11.2015 treffend wie folgt kommentiert:
„Die Abgeordneten, so heißt es im Grundgesetz, sind an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen. Dieser hehre Anspruch der Verfassung hält – Stichwort Fraktionszwang – der Wirklichkeit oft nicht stand. Allerdings hat der Bundestag eine vorzügliche Tradition, bei der die Parlamentarier tatsächlich nur ihrem Gewissen folgen. Wann immer ethische Fragen beraten wurden – sei es bei der Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs, der Stammzellforschung, der Präimplantationsdiagnostik oder der Organspende – spielten sich Beratung und Abstimmung jenseits von Partei- oder Fraktionsgrenzen ab. Ausgerechnet bei der schwierigsten aller ethischen Fragen, der Sterbehilfe, weichen die Fraktionschefs Kauder (Union), Oppermann (SPD) und Göring-Eckardt (Grüne) erstmals von der Tradition ab: Sie empfehlen den Abgeordneten, für einen bestimmten Gesetzentwurf zu stimmen. Offenbar haben die drei dabei selbst ein mulmiges Gefühl. Jedenfalls betonen sie, dass sie den Brief als Abgeordnete und nicht als Fraktionschef geschrieben hätten. Das ist albern. Wer den Vorsitz inne hat, kann nicht bei passender Gelegenheit so tun, als sei er halt nur einer von vielen. Die drei machen auf eine Weise Druck, wie sie bei einer Gewissensentscheidung ungehörig ist. Und damit fügen sie dem Ansehen des Parlaments Schaden zu.“
In Anlehnung an die Begründung des BGEs erscheint es nicht abwegig, den Fraktionsvorsitzenden vorzuwerfen, sie hätten beabsichtigt, schwache Abgeordnete, die noch gar nicht daran gedacht hatten, für den BGE zu stimmen, unter Druck zu setzen, genau dies zu tun. Offensichtlich waren sie davon überzeugt, dass es ihnen gelingen würde, einige Abgeordnete dazu zu verleiten, etwas zu tun, was diese sonst nicht getan hätten. Denn sonst hätten sich Kauder et al. ihr skandalöses, weil gegen das GG verstoßendes, Schreiben, das auffällig dem Schreiben der beiden Kirchen an alle Abgeordneten ähnelte, sparen können. Art. 38 GG sagt über die Abgeordneten des Deutschen Bundestags u.a.: „Sie sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“
Es ist nicht zu bestreiten, dass die 360 Abgeordneten, die für den BGE gestimmt haben, dabei nicht das ganze Volk vertreten haben, und die Fraktionsvorsitzenden grundgesetzwidrig versucht haben, durch ihren Appell die Gewissensfreiheit von Abgeordneten einzuschränken.
Am 12.10.2015 hat außerdem der Sprecher der Christen in der SPD und Mitglied im ZdK, Bundestagspräsident a.D. Wolfgang Thierse, in einem Schreiben an alle Abgeordneten nachdrücklich für den BGE geworben. https://www3.spd.de/spd-webapp/servlet/elementblob/18862984/content
2.8.2 Einschlägige religiöse Bekundungen von Abgeordneten des Bundestags
Die Annahme, dass bei der Abstimmung zum BGE die eigene religiöse Einstellung eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist naheliegend. Die Frage, ob Menschen sich töten oder Suizidhilfe leisten dürfen, wird nämlich hauptsächlich wegen der religiösen Überzeugung, das Leben sei ein unverfügbares Geschenk Gottes, verneint. Skandalöserweise wurden von etlichen Abgeordneten solche religiösen Bekenntnisse auch im Bundestag vorgetragen, wo sie nichts zu suchen haben. Ebenfalls besorgniserregend ist, dass dagegen von den übrigen Abgeordneten nicht protestiert wurde. Man hat sich offensichtlich daran gewöhnt, dass im Bundestag religiös „argumentiert“ wird.
Thomas Bareiß (CDU)
„Unser gesellschaftliches Fundament ist das christliche Menschenbild. Unsere Werte und Normen entstanden auf Grundlage dieses Fundaments. Und wenn wir uns dieser christlichen Wurzeln besinnen und sie auch für die Zukunft als Maßstab nehmen, dann können wir nur zu einem Ergebnis kommen – nämlich: Jegliche Form der organisierten Sterbehilfe, sei es durch Vereine unter dem Deckmantel der „Barmherzigkeit“ oder durch Gewerbetreibende, ist abzulehnen.“
Zu Protokoll gegebene Rede im Bundestag, 14.11.2014
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 57
Thomas Bareiß hat am 6.11.2015 zunächst für den SDE gestimmt und sich dann bei der Abstimmung zum BGE der Stimme enthalten. Herr Bareiß irrt sich. Demokratie und Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, die Gleichberechtigung von Frau und Mann, die Freiheit der Kunst sind gegen die Kirchen erstritten worden. Gesetzgebung und Rechtsprechung basieren – der Aufklärung sei Dank – nicht auf der Bibel. Der SDE und § 217 zeigen ganz deutlich, dass das „christliche Menschenbild“ wenig mit Demokratie, individueller Freiheit und der Trennung von Kirche und Staat zu tun hat.
Heike Brehmer (CDU)
„Gott ist der Schöpfer allen Lebens – dieses Verständnis bildet die Grundlage unseres christlichen Menschenbildes. Dieses Menschenbild ist die Basis für die Würde und Rechte eines jeden Einzelnen, auch für das Recht auf Leben.“
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 11203 (B) bzw. pdf S. 86
„Der Gruppenantrag von Thomas Dörflinger und Dr. Patrick Sensburg behandelt das Thema Sterbehilfe mit der notwendigen Verantwortung vor Gott und den Menschen und schafft eine wichtige Klarheit im Strafrecht.“
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 11204 (A) bzw. S. 87
Katrin Göring-Eckhardt (B90/Die Grünen)
„Als Christin bin ich der Auffassung, dass einer über das Leben nicht verfügen darf.“
Christen dürfen gern über ihr eigenes Sterben bestimmen, aber bitte nicht über meins.
Kerstin Griese (Sprecherin der Christen in der SPD, langjähriges Mitglied der Synode der EKD und kurz nach der Abstimmung zum BGE in den Rat der EKD gewählt)
„Unerlässlich findet Griese den Dialog mit den Kirchen in ethischen Themen, die den Anfang und das Ende des Lebens berühren. „In Kürze werden wir im Bundestag über das schwierige Thema Sterbehilfe entscheiden wo die Abgeordneten in besonderem Maße ihrem Gewissen verpflichtet sind. Da brauchen wir einen inneren Kompass.““
http://kerstin-griese.de/kerstin-griese-als-kirchenbeauftragte-wiedergewaehlt 14.3.2014
Von wem hat Pastorentochter Kerstin Griese diesen ominösen inneren Kompass bekommen? Von ihren Eltern, von ihrer Kirche? Ihr Kollege Hintze verfügte offensichtlich über ein anderes Modell.
Christian Hirte (CDU)
„Als Christ lehne ich Sterbehilfe ab.“
Ein braver „Christdemokrat für das Leben“, der dem „C“ im Vor- und Parteinamen alle Ehre macht, im Bundestag sitzt und nicht anders kann, als sich für den SDE auszusprechen und dann für den BGE zu stimmen.
Dr. Franz Josef Jung (CDU, Kirchenpolitischer Sprecher der CDU/CSU)
„Die Grundwerte unserer Verfassung wie Menschenwürde, Freiheit und Gerechtigkeit ergeben sich insbesondere aus dem christlichen Menschenbild, das die Basis unserer Kultur bildet. Dies spiegelt sich bereits in der Präambel der Grundgesetzes, die auf die Verantwortung vor Gott und den Menschen verweist. … Ein besonders wichtiges Thema der gemeinsamen Gespräche war auch die Debatte um die Sterbehilfe. Für mich als Christen ist es eine unerträgliche Vorstellung, dass Organisationen oder Einzelpersonen mit assistiertem Suizid Geschäfte machen. … Die ‚Tage der Begegnung‘ haben deutlich gemacht, dass die Christdemokraten fest an der Seite derjenigen stehen, für die christliche Werte der wichtigste Maßstab für politische und gesellschaftliche Entscheidungen bleiben.“
Volker Kauder (CDU, seit Ende 2005 Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, steht der Evangelischen Allianz nahe, Privataudienz bei Papst Benedikt XVI.)
„Ich bin der Meinung, dass für einen Christen ein solches Verbot (der organisierten Sterbehilfe) zwingend ist. Denn der Mensch ist das Ebenbild Gottes.“
http://volker-kauder.de/aktuelles/top-aktuell/sterbebegleitung.html
`Mit Bezug auf die Sterbehilfe-Debatte um den EKD-Ratsvorsitzenden sagte der Politiker: „Wir müssen klar und deutlich machen – und davon kann es keine Ausnahme geben -, dass das Leben von Gott geschenkt ist.“ Liebe als Argument für organisierte Sterbehilfe „reicht nach meiner Auffassung nicht aus“, stellte Kauder fest und fügte hinzu: „Das Geschenk des Lebens kann man nicht zurückgeben.“` http://www.jesus.de/blickpunkt/detailansicht/ansicht/cdu-politker-kauder-bekraeftigt-forderung-nach-verbot-der-sterbehilfe198337.html 4.8.2014
Barbara Lanzinger (CSU)
„Der Umgang mit der eigenen Endlichkeit gehört zu den großen Fragen der Menschheit und bestimmt unser christliches Menschenbild, einen Grundpfeiler unserer Werteordnung. In der heutigen Debatte geht es um dieses Menschenbild. Und zwar nicht nur im Hinblick auf den Umgang mit dem Tod, sondern auch mit dem Sterben. Es geht um die Bedeutung menschlichen Lebens in seiner letzten, schweren Phase.“ Zu Protokoll gegebene Rede im Bundestag, 14.11.2014, http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 61
Ingbert Liebling (CDU)
„Das Leben steht nicht in der Verfügungsgewalt von uns Menschen. Das Leben ist uns von Gott gegeben. In dieser Verantwortung vor Gott handeln wir, handle ich persönlich auch in meiner christlichen Verantwortung.“ Zu Protokoll gegebene Rede, Bundestag, 14.11.2014 http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 62
Claudia Lücking-Michel (CDU)
„Als Christin bin ich überzeugt, dass unser aller Leben ein Geschenk Gottes ist.“
Bundestag, 14.11.2014, Plenarprotokoll S. 30 (D)
Gisela Manderla (CDU)
„Grundsätzlich geht es hier um das Selbstbestimmungsrecht des Menschen, das gewährleistet sein muss. Selbstbestimmung aber setzt nach meinem christlichen Werteverständnis auch Selbstverantwortung voraus, und dies verbietet mir als Christin Selbsttötung.“
Zu Protokoll gegebene Rede, Bundestag, 14.11.2014 http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 62f
Andreas Mattfeldt (CDU)
„Das Leben ist eine Gabe Gottes. Dieses ist es auch angesichts starker Einschränkungen oder Leiden. … Der christliche Glaube leitet uns an, jedes Leben als lebenswert zu betrachten und das sollten wir Christen mit Leben füllen. Ich stelle mir nicht nur als Abgeordneter, sondern auch als Christ die Frage, ob die sogenannte Sterbehilfe legalisiert werden sollte. … Ich bin im christlichen Glauben erzogen worden und das leitet mich nicht nur im alltäglichen Leben, sondern auch bei der Entscheidungsfindung in Bezug auf die Gesetzesänderungen, die derzeit auf meinem Abgeordnetentisch liegen. … Die Ehrfurcht vor dem Leben sollte uns Christen für eine lebensbejahende und
lebensfördernde Ethik und Gesellschaft eintreten lassen.“ http://www.kirchengemeinde-grasberg.de/fileadmin/user_upload/dokumente/kreuz_und_quer/2015_11.pdf S. 7f
Maria Michalk (CDU)
„Dass, wie manche erwähnt haben, viele Menschen, die sich mit dem Thema auseinandergesetzt haben, sagen: „Ich möchte am Ende des Lebens selbst bestimmen, wann ich von dieser Welt gehe“, kann ich als Christ nicht verstehen.“
Rede im Bundestag, 13.11.2014, Protokoll S. 6162 C
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 56
Frau Michalk muss das nicht verstehen, aber als MdB respektieren.
Julia Obermeier (CSU)
„Ich will, dass Beihilfe zum Suizid unter Strafe gestellt wird“, sagt Obermeier bestimmt. „Wenn jemand am Ende seines Lebens verzweifelt, sollten wir ihm die Verzweiflung nehmen – und nicht das Leben.“ Obermeier, die CSU-Abgeordnete, argumentiert da auch christlich. „Das Leben ist ein Geschenk Gottes. Es sollte nicht in der Hand des Menschen liegen, es zu beenden.“ http://www.merkur.de/lokales/muenchen/stadt-muenchen/sterbehilfe-regeln-aber-wie-5753093.html
Christian Schmidt (CSU)
„Aber ich glaube, angesichts der Begrenztheit unserer Möglichkeiten und Fähigkeiten, solche Dinge zu entscheiden, müssen wir dabei bleiben, dass weder gewerblich noch individuell noch ärztlich Unterstützung gegeben werden kann, wenn jemand seinem Leben ein Ende setzen will. Nach unserem Verständnis ist der von Gott geschaffene Mensch von ihm mit einem besonderen Auftrag für die Schöpfung versehen – in Freiheit und Verantwortung.“
Bundestag, 13.11.2014, Plenarprotokoll S. 50 (A)
Der heutige Mensch ist aus einer sich über Milliarden von Jahren hinziehenden komplizierten physikalischen, chemischen, biologischen und kulturellen Evolution hervorgegangen. Zu seinem göttlichen Auftrag gehört es, vor dem Tod eventuell lange und schwer zu leiden? Religiöse Spekulationen gehören nicht in den Bundestag. Sie sind keine in unserer Demokratie akzeptable Antwort auf die gravierenden Probleme am Ende des Lebens.
Johannes Selle (CDU, Mitglied des politischen Arbeitskreises der Evangelischen Allianz Deutschlands)
„Wir tangieren ganz elementare Überzeugungen der einzelnen Kollegen. Die unausgesprochene Frage „Bin ich nach dem Tod noch verantwortlich?“ schwingt mit. Deswegen verlaufen die Textvorschläge ja auch nicht entlang Parteilinien.“
Zu Protokoll gegebene Rede, Bundestag, 2.7.2015 http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 184 bzw. S. 11206 B und C
Reinhold Sendker (CDU, Lehramtsstudium der katholischen Theologie in Paderborn)
„Zurzeit werden für mich wahrnehmbar die „Helden der Selbsttötung“ geradezu hofiert. Ich lese und höre da von einem falschen Verständnis von Selbstbestimmung. Daher unterstütze ich voll und ganz die Position der katholischen wie der evangelischen Kirche. Wir brauchen eine „Kultur der Begleitung im Sterben“ und nicht eine „Kultur der Hilfe zum Sterben“.
Zu Protokoll gegebene Rede, Bundestag, 14.11.2014
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 66
„Das Leben ist Gottgegeben und nicht verfügbar. Folglich sollte es bis zuletzt geschützt sein.“
http://www.cdu-sendker.de/index.php?ka=28&ska=-1
Patrick Sensburg (CSU, Mitverfasser des SDEs)
„Das Leben und vor allem die Würde sind dem Menschen nicht disponibel. Anfang und Ende bestimmt nicht der Mensch. Insoweit zumindest sind wir in Gottes Hand.“
Zu Protokoll gegebene Rede, Bundestag, 14.11.2014
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18066.pdf S. 67
Von 2005 bis 2009 war Sensburg laut Wikipedia Aufsichtsratsvorsitzender des städtischen Krankenhauses Maria-Hilf Brilon gGmbH, wo Geburt und Sterben wesentlich von Ärzten und Pflegern beeinflusst werden, und von „Gottes Hand“ eher wenig zu bemerken ist. Aber auch hier ist spätestens seit Ende 2015 Suizidhilfe durch erfahrene Ärzte nicht möglich.
Jens Spahn (CDU, bis Juli 2015 Mitglied im Ausschuss für Gesundheit)
„Auch im Sterben gibt es eine Verantwortung für andere und vor Gott. Daher kann es kein faktisches Recht auf Beihilfe zum Sterben geben.“
http://www.theeuropean.de/spahn-jens/9228-bundestag-gesetzliche-regelung-der-sterbehilfe
Hinweis von Spahn, die Verfassung habe einen Gottesbezug, dann:
„Ich finde, wir können nicht selbst über unser Leben verfügen.“
https://www.youtube.com/watch?v=VP7MwJZVCSA 44:40
Carola Stauche (CDU, Kirchenälteste)
„Von meinem christlichen Menschenbild her lehne ich jede Form der aktiven direkten und indirekten Sterbehilfe ab.“
Dr. Volker Ullrich (CSU)
„Jeder geht daher mit seinem ganz eigenen Blickwinkel in diese Debatte über die Sterbebegleitung hinein. Orientierungspunkte können der Glaube und die eigenen religiösen Überzeugungen sein, auch persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Schicksale. Für Christen, aber auch für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften ist das Leben zuallererst ein Geschenk Gottes.“
http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18115.pdf S. 185 (C)
Peter Weiß (CDU, Theologe, Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Mitglied der katholischen Zentralstelle für Entwicklungspolitik und der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Stellvertretender Vorsitzender der Caritasrates für die Erzdiözese Freiburg, beratendes Mitglied der Kommission Weltkirche der Deutschen Bischofskonferenz, Bezirksvorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft)
„Jeder geht daher mit seinem ganz eigenen Blickwinkel in diese Debatte über die Sterbebegleitung hinein. Orientierungspunkte können der Glaube und die eigenen religiösen Überzeugungen sein, auch persönliche Erfahrungen, Erlebnisse und Schicksale. Für Christen, aber auch für Angehörige anderer Religionsgemeinschaften ist das Leben zuallererst ein Geschenk Gottes.“
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 185 bzw. S. 11207 C und D
Peter Weiß studierte katholische Theologie in Freiburg und Tübingen. Er war u.a. als Geschäftsführer der Katholischen Hochschule für Sozialwesen, Religionspädagogik und Pflege in Freiburg tätig.
http://peter-weiss.de/kurzbiographie
2.9 Abhängigkeit des Abstimmungsverhaltens der Abgeordneten vom religiösen Bekenntnis
2.9.1 Liste und Tabelle auf der Basis von Daten der Bundestagsverwaltung
Liste der Abgeordneten, die laut Plenarprotokoll 18/134 für den § 217 gestimmt haben.
Die Konfession dieser Abgeordneten wurde vom Beschwerdeführer dem Handbuch des Deutschen
Bundestags entnommen.
Christen: Normalschrift
Islam: unterstrichen
Keine Angabe: Kursivschrift
Konfessionsfreie: GROSSBUCHSTABEN
CDU/CSU: Stephan Albani; Katrin Albsteiger; Peter Altmaier; Artur Auernhammer; Dorothee Bär; Günter Baumann; Maik Beermann; Manfred Behrens (Börde); Sybille Benning; Dr. Andre Berghegger; Dr. Christoph Bergner; Ute Bertram; Peter Beyer; Steffen Bilger; Clemens Binninger; Dr. Maria Böhmer; Wolfgang Bosbach; Klaus Brähmig; Michael Brand; Dr. Reinhard Brandl; Helmut Brandt; Dr. Ralf Brauksiepe; Heike Brehmer; Ralph Brinkhaus; Cajus Caesar; Gitta Connemann; Alexander Dobrindt; Michael Donth; Thomas Dörflinger; Marie-Luise Dött; Hansjörg Durz; Dr. Bernd Fabritius; Hermann Färber; Dr. Thomas Feist; Enak Ferlemann; Dirk Fischer (Hamburg); Axel E. Fischer ; (Karlsruhe-Land); Dr. Maria Flachsbarth; Klaus-Peter Flosbach; Thorsten Frei; Dr. Astrid Freudenstein; Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof); Michael Frieser; Dr. Michael Fuchs; Hans-Joachim Fuchtel; Alexander Funk; Ingo Gädechens; Dr. Thomas Gebhart; Alois Gerig; Eberhard Gienger; Cemile Giousouf; Josef Göppel; Reinhard Grindel; Ursula Groden-Kranich; Hermann Gröhe; Klaus-Dieter Gröhler; Michael Grosse-Brömer; Astrid Grotelüschen; Markus Grübel; Manfred Grund; Oliver Grundmann; Monika Grütters; Fritz Güntzler; Christian Haase; Florian Hahn; Dr. Stephan Harbarth; Gerda Hasselfeldt; Matthias Hauer; Mark Hauptmann; Dr. Stefan Heck; Dr. Matthias Heider; Helmut Heiderich; Mechthild Heil; Frank Heinrich (Chemnitz); Uda Heller; Rudolf Henke; Michael Hennrich; Ansgar Heveling; Christian Hirte; Dr. Heribert Hirte; Robert Hochbaum; Alexander Hoffmann; Karl Holmeier; Franz-Josef Holzenkamp; Dr. Hendrik Hoppenstedt; Margaret Horb; Bettina Hornhues; Charles M. Huber; Anette Hübinger; Hubert Hüppe; Erich Irlstorfer; Thomas Jarzombek; Andreas Jung; Dr. Franz Josef Jung; Xaver Jung; Bartholomäus Kalb; Hans-Werner Kammer; Steffen Kampeter; Anja Karliczek; Bernhard Kaster; Volker Kauder; Dr. Stefan Kaufmann; Roderich Kiesewetter; Dr. Georg Kippels; Volkmar Klein; Jens Koeppen; Markus Koob; Carsten Körber; Hartmut Koschyk; Michael Kretschmer; Gunther Krichbaum; Dr. Günter Krings; Rüdiger Kruse; Bettina Kudla; Dr. Roy Kühne; Günter Lach; Uwe Lagosky; Dr. Karl A. Lamers; Dr. Norbert Lammert; Katharina Landgraf; Ulrich Lange; Barbara Lanzinger; Dr. Silke Launert; Paul Lehrieder; Dr. Katja Leikert; Dr. Philipp Lengsfeld; Dr. Andreas Lenz; Philipp Graf Lerchenfeld; Dr. Ursula von der Leyen; Ingbert Liebing; Matthias Lietz; Dr. Carsten Linnemann; Patricia Lips; Wilfried Lorenz; Dr. Claudia Lücking-Michel; Daniela Ludwig; Karin Maag; Yvonne Magwas; Gisela Manderla; Matern von Marschall; Hans-Georg von der Marwitz; Andreas Mattfeldt; Stephan Mayer (Altötting); Reiner Meier; Dr. Michael Meister; Dr. Angela Merkel; Jan Metzler; Maria Michalk; Dr. h.c. Hans Michelbach; Dr. Mathias Middelberg; Dietrich Monstadt; Karsten Möring; Volker Mosblech; Elisabeth Motschmann; Stefan Müller (Erlangen); Dr. Gerd Müller; Dr. Philipp Murmann; Dr. Andreas Nick; Michaela Noll; Helmut Nowak; Dr. Georg Nüßlein; Julia Obermeier; Wilfried Oellers; Florian Oßner; Dr. Tim Ostermann; Henning Otte; Ingrid Pahlmann; Sylvia Pantel; Martin Patzelt; Dr. Martin Pätzold; Sibylle Pfeiffer; Eckhard Pols; Thomas Rachel; Kerstin Radomski; Alexander Radwan; Alois Rainer; Dr. Peter Ramsauer; Eckhardt Rehberg; Lothar Riebsamen; Josef Rief; Dr. Heinz Riesenhuber; Johannes Röring; Erwin Rüddel; Albert Rupprecht; Anita Schäfer (Saalstadt); Dr. Wolfgang Schäuble; Andreas Scheuer; Karl Schiewerling; Norbert Schindler; Heiko Schmelzle; Christian Schmidt (Fürth); Gabriele Schmidt (Ühlingen); Ronja Schmitt; Patrick Schnieder; Nadine Schön (St. Wendel); Bernhard Schulte-Drüggelte; Dr. Klaus-Peter Schulze; Uwe Schummer; Armin Schuster (Weil am Rhein); Detlef Seif; Johannes Selle; Reinhold Sendker; Bernd Siebert; Thomas Silberhorn; Johannes Singhammer; Jens Spahn; Carola Stauche; Dr. Frank Steffel; Dr. Wolfgang Stefinger; Albert Stegemann; Peter Stein; Erika Steinbach; Johannes Steiniger; Christian Frhr. von Stetten; Dieter Stier; Rita Stockhofe; Stephan Stracke; Max Straubinger; Matthäus Strebl; Thomas Strobl (Heilbronn); Dr. Peter Tauber; Antje Tillmann; Dr. Hans-Peter Uhl; Dr. Volker Ullrich; Oswin Veith; Thomas Viesehon; Michael Vietz; Sven Volmering; Kees de Vries; Dr. Johann Wadephul; Marco Wanderwitz; Nina Warken; Albert Weiler; Marcus Weinberg (Hamburg); Dr. Anja Weisgerber; Peter Weiß (Emmendingen); Sabine Weiss (Wesel I); Karl-Georg Wellmann; Marian Wendt; Waldemar Westermayer; Kai Whittaker; Peter Wichtel; Annette Widmann-Mauz; Heinz Wiese (Ehingen); Elisabeth Winkelmeier-Becker; Oliver Wittke; Barbara Woltmann; Tobias Zech; Heinrich Zertik; Emmi Zeulner; Dr. Matthias Zimmer; Gudrun Zollner
SPD: Rainer Arnold; Heike Baehrens; Ulrike Bahr; Doris Barnett; Dr. Matthias Bartke; Bärbel Bas; Burkhard Blienert; Willi Brase; Martin Burkert; Dr. Lars Castellucci; Siegmund Ehrmann; Petra Ernstberger; Dr. Fritz Felgentreu; Dr. Ute Finckh-Krämer; Christian Flisek; Dagmar Freitag; Sigmar Gabriel; Michael Gerdes; Martin Gerster; Iris Gleicke; Kerstin Griese; Uli Grötsch; Sebastian Hartmann; Hubertus Heil (Peine); Marcus Held; Wolfgang Hellmich; Dr. Barbara Hendricks; Dr. Eva Högl; Christina Jantz; Josip Juratovic; Oliver Kaczmarek; Arno Klare; Lars Klingbeil; Birgit Kömpel; Dr. Hans-Ulrich Krüger; Helga Kühn-Mengel; Christine Lambrecht; Christian Lange (Backnang); Steffen-Claudio Lemme; Gabriele Lösekrug-Möller; Hiltrud Lotze; Kirsten Lühmann; DR. BIRGIT MALECHA-NISSEN; Hilde Mattheis; Bettina Müller; Michelle Müntefering; Dr. Rolf Mützenich; Andrea Nahles; Dietmar Nietan; Thomas Oppermann; Aydan Özoguz; Detlev Pilger; Achim Post (Minden); Dr. Wilhelm Priesmeier; Dr. Sascha Raabe; Martin Rabanus; Stefan Rebmann; Andreas Rimkus; Dennis Rohde; Dr. Martin Rosemann; René Röspel; Dr. Ernst Dieter Rossmann; Michael Roth (Heringen); Susann Rüthrich; Bernd Rützel; Annette Sawade; Marianne Schieder; Udo Schiefner; Dr. Dorothee Schlegel; Ulla Schmidt (Aachen); Dagmar Schmidt (Wetzlar); Elfi Scho-Antwerpes; Stefan Schwartze; Rita Schwarzelühr-Sutter; Rainer Spiering; Peer Steinbrück; Gabi Weber
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Volker Beck (Köln); Katrin Göring-Eckardt; Britta Haßelmann; Bärbel Höhn; Maria Klein-Schmeink; Stephan Kühn (Dresden); Markus Kurth; Dr. Tobias Lindner; Beate Müller-Gemmeke; Özcan Mutlu; Dr. Konstantin von Notz; Omid Nouripour; Cem Özdemir; Claudia Roth (Augsburg); Corinna Rüffer; Manuel Sarrazin; Elisabeth Scharfenberg; Kordula Schulz-Asche; DR. HARALD TERPE
DIE LINKE: Jan van Aken; Sevim Dagdelen; Annette Groth; Heike Hänsel; Andrej Hunko; Ulla Jelpke; Martina Renner; Kathrin Vogler; Halina Wawzyniak; Jörn Wunderlich; Hubertus Zdebel; Pia Zimmermann
Vom Protokoll der Plenarsitzung des Bundestags am 6.11.2015 (S. 13101-04) und den Biografien der Abgeordneten im Handbuch zum 18. Deutschen Bundestag ausgehend, wurde folgende Tabelle erstellt, die die Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen zum BGE in Abhängigkeit von Fraktion und Konfession darstellt:
Christen Islam keine Angabe konfess.frei Atheist Summe__
Fraktion ja nein ja nein ja nein ja nein ja nein ja nein
CDU/CSU 237 32 1 0 14 7 0 0 0 0 252 39
SPD 54 44 0 0 22 61 1 4 0 0 77 109
Die Linke 3 1 0 0 9 30 0 10 0 3 12 44
B90/Grüne 5 10 1 0 12 29 1 2 0 0 19 41_
Summe 299 87 2 0 57 127 2 16 0 3 360 233
Tab. 1: Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen in Abhängigkeit von Fraktion und Konfession
Tabelle 1 zeigt eine große Zustimmung zum BGE bei Christen und gläubigen Muslimen, aber eine in der Summe starke Ablehnung bei Mitgliedern des Bundestags, die laut Handbuch des Bundestags keine Angaben zur Konfession gemacht oder sich als konfessionsfrei bzw. Atheisten bezeichnet haben.
2.9.2 Unter Verwendung weiterer Quellen präzisierte Tabelle
Bundestagsabgeordnete, die im Handbuch des Bundestags keine Angabe zur Konfession gemacht haben, aber den angegebenen Internetquellen zufolge Kirchenmitglieder/Christen oder gläubige Muslime sind und für den BGE gestimmt haben:
CDU/CSU
Sybille Benning, rk, https://www.cducsu.de/abgeordnete/sybille-benning
Heike Brehmer, Christin, http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 181 B und C
Frank Heinrich, hat Theologie studiert, war für die Heilsarmee tätig, ist Mitglied des Hauptvorstandes der Evangelischen Allianz Deutschland, http://www.frankheinrich.de/persoenliches/vita.html
Thomas Jarzombek, rk, https://www.cducsu.de/abgeordnete/thomas-jarzombek
Dr. Roy Kühne, Christ, http://www.kirche-einbeck.de/blog/11379
Ursula von der Leyen, ev, https://www.cducsu.de/abgeordnete/ursula-leyen
Andreas Mattfeldt, Christ, http://www.kirchengemeinde-grasberg.de/fileadmin/user_upload/dokumente/kreuz_und_quer/2015_11.pdf
Dr. Mathias Middelberg, kath, http://mathias-middelberg.de/zur-person
Nadine Schön, kath, http://nadineschoen.de/content/vita (Mitglied im ZdK)
Reinhold Sendker, rk, http://www.cdu-sendker.de/index.php?ka=6&ska=24
SPD
Doris Barnett, freireligiöse Gemeinde, Mitglied des Kuratoriums der Diakoniestiftung Pfalz,
http://www.miz-online.de/node/271
Martin Burkert, SPD, ev,
http://www.nordbayern.de/2.242/2.229/nurnberger-abgeordnete-horen-papst-zu-1.1522399
Sigmar Gabriel, Christ, „So wahr mir Gott helfe“ (Vereidigung zum Minister)
Michael Gerdes, kath, http://www.derwesten.de/staedte/gladbeck/gerdes-ein-hoher-staatsgast-wie-andere-auch-id5089862.html unten
Peer Steinbrück, ev, http://www.katholisch.de/aktuelles/aktuelle-artikel/einen-urknall-wird-es-nicht-geben
Die Linke
Jan van Aken, Christ, http://kirchentag.blog.rosalux.de/files/2013/04/620901001_LinkePV_KirchentagGottWelt_Folder_130418.pdf
B90/Grüne
Volker Beck, Christ, war kirchenpolitischer Sprecher seiner Fraktion, http://www.jesus.de/blickpunkt/detailansicht/ansicht/ich-bin-kein-kirchenkritiker196489.html
Dr. Tobias Lindner, Christ,
Özcam Mutlu, gläubiger Muslim,
http://www.bz-berlin.de/berlin/oezcan-mutlu-muslime-muessen-endlich-voll-anerkannt-werden
Cem Özdemir, gläubiger Muslim, http://www.oezdemir.de/081101.html
Aydan Özoguz, gläubige Muslima http://www.bild.de/politik/inland/aydan-oezoguz/gabriels-hoffnungsfrau-hat-probleme-20722030.bild.html
Unter Berücksichtigung der obigen zusätzlichen Informationen zur Konfession der Abgeordneten ergibt sich die folgende Tabelle:
_Christen Islam unbekannt konfess.frei Atheist Summe__
Fraktion ja nein ja nein ja nein ja nein ja nein ja nein
CDU/CSU 247 32 1 0 4 7 0 0 0 0 252 39
SPD 59 44 0 0 17 61 1 4 0 0 77 109
Die Linke 4 1 0 0 8 30 0 10 0 3 12 44
B90/Grüne 7 10 4 0 7 29 1 2 0 0 19 41_
Summe 317 87 5 0 36 127 2 16 0 3 360 233
Tab. 2:
Präzisierte Verteilung der Ja- und Nein-Stimmen in Abhängigkeit von Fraktion und Konfession
2.9.3 Für ein totales Suizidhilfeverbot stimmten nur christliche Abgeordnete der CDU/CSU
Beim Stimmzettel-Verfahren zeigte sich am 6.11.2015 besonders deutlich, dass Abgeordnete, die sich zum christlichen Glauben bekennen, mehr als andere Abgeordnete dazu tendieren, Suizidhilfe strafrechtlich zu verbieten. Der SDE vom 30.6.2015 droht mit bis zu fünf Jahren Gefängnis und enthält keine Ausnahmen für Fälle extrem schweren Leidens oder die „Beihilfe“ durch Angehörige oder Nahestehende. http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/053/1805376.pdf
Zum Beispiel Ärzte, die einer Patientin mit Krebs im Gesicht (man denke an Frau Eckert, der Prof. Hackethal – grauenvollerweise mit Zyankali – beim Suizid geholfen hat) oder mit Mukovizidose beim Suizid helfen, oder Angehörige, die einem ALS-Patienten beim Suizid helfen, werden vom SDE der richterlichen Gnade empfohlen (s. SDE, S. 9). Auch wer unter einem schnell wachsenden Gehirntumor leidet (wie in den USA Brittany Maynard und in Deutschland Wolfgang Herrndorf) dürfte gemäß SDE keine Suizidhilfe erhalten.
Der SDE sollte sowohl die Freiheit aller Menschen, auch völlig hilfloser, beschränken, einen Suizidhelfer zu finden, als auch die Freiheit aller Menschen, die willens sind, einem Sterbewilligen beim Suizid zu helfen. Um einem solch rigorosen Strafgesetz zuzustimmen, bedarf es besonderer Wertmaßstäbe und eines speziellen „moralischen Kompasses“. Dass bei der Abstimmung zum SDE die religiöse Einstellung der Abgeordneten eine wesentliche Rolle gespielt hat, legt die folgende Analyse der Ergebnisse des Stimmzettelverfahrens am 6.11.2015 nahe:
Alle 37 Abgeordnete, die für den SDE gestimmt haben, gehören einer der beiden christlichen Parteien an. Kein Mitglied der SPD, der Grünen oder der Linken votierte für den SDE. Von diesen 37 Abgeordneten haben sich 35 im Handbuch des Bundestags zu einer christlichen Kirche bekannt. Eine dieser Abgeordneten, Heike Brehmer, hat sich nicht im Handbuch, aber am 2.7.2015 im Bundestag wie folgt zum Christentum bekannt:
„Gott ist der Schöpfer allen Lebens – dieses Verständnis bildet die Grundlage unseres christlichen Menschenbildes. Dieses Menschenbild ist die Basis für die Würde und Rechte eines jeden Einzelnen, auch für das Recht auf Leben.“
http://dipbt.bundestag.de/doc/btp/18/18115.pdf S. 11203 (B) bzw. S. 86
Eine weitere Abgeordnete, die Nachrückerin Iris Eberl, hat im Handbuch des Bundestags keine Angabe zur Konfession gemacht. Dafür, dass sie Christin ist, spricht aber neben ihrer Mitgliedschaft in der CSU, dass sie zu Weihnachten 2015 ihren Facebook-Freunden „Gottes Segen“ gewünscht hat: https://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=466376096895726&id=416270778572925
Kein weiteres MdB, das im Handbuch keine Angaben zur Konfession gemacht hat, hat für den SDE gestimmt, ebenso kein Muslim, kein Konfessionsfreier und kein Atheist.
Von den 602 Abgeordneten haben beim Stimmzettelverfahren nur 37, d.h. 6%, dem totalen Suizidhilfeverbot des SDEs und damit einer besonders konservativen christlichen Position, wie sie z.B. im Katechismus der Katholischen Kirche unter Nr. 2282 zu finden ist („Freiwillige Beihilfe zum Selbstmord verstößt gegen das sittliche Gesetz.“) zugestimmt. Sieben von diesen 37 Christen haben anschließend gegen den BGE gestimmt: Bleser, Eberl, Hoffmann (Dortmund), Jüttner, Karl, Lezius, Mortier. Es ist anzunehmen, dass der BGE diesen Abgeordneten nicht weit genug ging.
Auch die Abstimmung zum SDE weist deutlich darauf hin, dass religiöse Anschauungen bei der Frage einer gesetzlichen Regelung der Suizidhilfe eine wesentliche Rolle gespielt haben.
2.9.4 Interpretation des Abstimmungsverhaltens als in erster Linie religiös motiviert
„Der Staat muss sich in den Worten des Bundesverfassungsgerichts als „Heimstatt aller Bürger“ verstehen, unabhängig von ihrem religiösen oder weltanschaulichen Bekenntnis.“
Durch die Einfügung des neuen § 217 in das Strafgesetzbuch hat sich der deutsche Staat jedoch wie der verlängerte Arm der Kirchen verhalten. Dafür, dass § 217 in erster Linie religiös motiviert ist, sprechen die folgenden Tatsachen und Überlegungen:
(1) Die Kirchen lehnen den Suizid ab.
(2) Die Kirchen haben die beiden in Deutschland existierenden Suizidhilfe-Organisationen Dignitas und StHD von Anfang an bekämpft.
(3) Schon 2005/06 haben vier CDU-regierte Bundesländer versucht, die „geschäftsmäßige Förderung der Selbsttötung“ durch einen neuen § 217 StGB verbieten zu lassen.
(4) Der Katechismus der Katholischen Kirche von 1992 verbietet die „Beihilfe zum Selbstmord“.
(5) Im Jahr 2008 haben Bischof Dr. Wolfgang Huber und die EKD ein Verbot der geschäftsmäßigen Suizid(bei)hilfe durch Suizidhilfe-Organisationen gefordert.
(6) Am 1.7.2015, einen Tag vor der ersten Lesung zu den vier Gesetzentwürfen zur Sterbehilfe, haben DBK und EKD in einer gemeinsamen Erklärung erneut ein „Verbot der organisierten Formen der Beihilfe zur Selbsttötung“ gefordert.
(7) Caritas, Diakonie und etliche weitere christliche Organisationen haben ein Verbot der organisierten Suizidbeihilfe gefordert.
(8) Der Bundespräsident, ein ehemaliger Pfarrer, hat am 2.11.2015 durch einen Empfang im Schloss Bellevue und durch seine Rede Nähe zu Befürwortern des § 217 gezeigt und damit signalisiert, dass er dem § 217 positiv gegenüber steht.
(9) Am 6.11.2015 hat im Bundestag eine parteiübergreifende „Gottesfraktion“ aus mindestens 317 christlichen sowie fünf islamischen Abgeordneten für den § 217 gestimmt. Diese minimal 322 sich zu einer Religion bekennenden Personen waren für die Annahme des BGEs bereits ausreichend (absolute Mehrheit).
(10) Allein 247 Ja-Stimmen kamen von christlichen Mitgliedern der beiden im Bundestag vertretenen Parteien, die sich schon im Parteinamen zum Christentum bekennen.
(11) Nur innerhalb der – fast ausschließlich christlichen – CDU/CSU-Fraktion gab es eine Mehrheit von Stimmen für den § 217. Alle drei anderen Fraktionen haben mehrheitlich gegen den BGE gestimmt. Dies spricht deutlich dafür, dass der religiöse Hintergrund der Abgeordneten Einfluss auf das Abstimmungsverhalten hatte. Denn bei den drei anderen Fraktionen sind von ihrer Ausrichtung her für „Intensivchristen“ weniger attraktiv, der Anteil von Christen und „Intensivchristen“ ist in diesen Fraktionen deshalb deutlich geringer (SPD), gering (B90/Grüne) oder sehr gering (Die Linke).
(12) Bei den elf Abgeordneten der CDU/CSU, deren Konfessionszugehörigkeit mir unbekannt geblieben ist, zeigte sich ein gegenläufiges Abstimmungsverhalten: Nur vier stimmten mit Ja, sieben mit Nein. Diese Normabweichung deutet ebenfalls auf eine Korrelation zwischen Einstellung zum christlichen Glauben und Einstellung zum § 217 hin.
(13) Wäre die Sorge um sozial Schwache, deren Leben durch Suizidhilfe-Organisationen gefährdet ist, oder die von Suizidhelfern ausgebeutet werden, bei dieser Abstimmung entscheidend gewesen, hätten SPD und die LINKE mehrheitlich dem BGE zustimmen müssen. Dies war aber nicht der Fall. Entscheidend waren für das Abstimmungsergebnis religiöse Einstellungen zu Suizid und Suizidhilfe.
(14) Bei der kirchenfernsten Fraktion, der LINKEN, gab es die geringste Zustimmung zum § 217.
(15) Bei der SPD überwogen die Ja-Stimmen unter den Christen (58:44), die Nein-Stimmen bei den Abgeordneten mit mir unbekannter Konfession (18:61) und bei den Konfessionslosen (1:4).
(16) Bei der LINKEN überwogen ebenfalls unter den (wenigen) Christen die Ja-Stimmen (4:1), die Nein-Stimmen überwogen klar bei den unklaren Fällen (8:30), den Konfessionsfreien (0:10) und den Atheisten (0:3). (Dass nur 3 der 602 anwesenden Abgeordneten im Handbuch des Bundestags angegeben haben, sie seien Atheisten, scheint mir am ehesten damit zu erklären zu sein, dass andere atheistische Abgeordnete sich in der „Kirchenrepublik Deutschland“ (Carsten Frerk) zum Teil nicht getraut haben, sich zu ihrem Unglauben öffentlich zu bekennen.)
(17) Bei Bündnis90/Grüne waren Christen (7:10), Abgeordnete mit mir unbekannter Konfession (7:29) und Konfessionsfreie (1:2) mehrheitlich gegen den § 217. Der relative Anteil der Ja-Stimmen war innerhalb dieser drei Gruppen am höchsten bei den Christen.
(18) Für den § 217 waren alle fünf Abgeordnete, die sich laut Tab. 2 zum Islam bekennen. Dies könnte daran liegen, dass der Islam noch klarer als das Christentum religiöse Überzeugungen und Wertvorstellungen aus dem Mittelalter vertritt, und der BGE in seiner eigentlichen Intention einen Schritt zurück zu mittelalterlichen Moralvorstellungen darstellt.
(19) Der erhebliche Teil von 80 Abgeordneten, die sich im Handbuch zum Christentum bekennen, aber nicht für den SDE und gegen den BGE gestimmt haben, kann mit der Tendenz erklärt werden, dass in Deutschland der Einfluss konservativer Theologen rückläufig ist, und Christen immer seltener an einen strengen und strafenden und immer häufiger an einen milden, verzeihenden und liebenden Gott oder nur noch an ein höreres Wesen glauben. Es würde mich aber nicht wundern, wenn sich herausstellen sollte, dass vor allem in der CDU/CSU-Fraktion immer noch viele Abgeordnete an die Hölle glauben und sich weniger vor dem Bundesverfassungsgericht als vor der dem sog. Jüngsten Gericht fürchten.
In der Talkshow „hart aber fair“ sagte Anne Schneider (ehemalige Religionslehrerin und Ehefrau des ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider):
„Diese ganze Frage hat ja eine sowohl theologische Ebene für mich, also darum argumentiere ich ja auch theologisch und bemühe mich auch, ein Gottesbild zu vertreten und zu verbreiten, das Menschen die Angst davor nimmt, dass wenn sie ihr Leben beenden, sie dann in der Hölle landen oder irgendwie von Gott dann auf Ewigkeit verstoßen werden.“
https://www.youtube.com/watch?v=vCyZIL9bYws 1:02:40
Die Vorstellung von einem derart grausamen Gott ist zwar in Deutschland nicht mehr sehr populär, dass Frau Schneider es aber für nötig hält, sich für ein freundlicheres Gottesbild einzusetzen, zeigt, dass die Vorstellung, der Suizid sei eine Sünde, die Gott schwer bestraft, in Deutschland noch lebendig ist. Besonders bei einigen religiös sehr konservativ eingestellten Abgeordneten und deren Unterstützung des BGEs könnte die Angst vor einer Bestrafung im Jenseits wegen Nichteinschreitens gegen die organisierte Suizidhilfe eine entscheidende Rolle gespielt haben. Möglicherweise wollten diese Abgeordneten den „lieben Gott“ vor „Gefühlsverletzungen“ schützen, sich vor allem selbst davor schützen, „Gott“ zu erzürnen und bei ihm in Ungnade zu fallen, was ja in der Vorstellung von strenggläubigen Christen und Muslimen bis zu ewigen Höllenqualen führen kann.
Dass die Kirchen bei der Sterbehilfedebatte eine wichtige Rolle gespielt haben, sieht auch Eva Quadbeck so. Die Leiterin der Berliner Parlamentsredaktion der Rheinischen Post schrieb in einem Nachruf auf den CDU-Politiker Peter Hintze am 28.11.2016 (RP, S. A5):
„In ethischen Fragen sehr liberal, stellte er sich etwa bei der Sterbehilfe gegen die Überzeugungen der Kirchen. Zuletzt wollte er Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten schaffen, um einen ärztlich unterstützten Suizid zu ermöglichen.“
Text der Beschwerde und weitere Kritik am § 217 StGB: s. www.reimbibel.de/217.htm